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Catherine Deneuve & Françoise Dorléac

Sister Act

Bald waren sie Konkurrentinnen, bald bezaubernde «Zwillinge»: die beiden Schwestern Françoise Dorléac (1942–1967) und Catherine Deneuve (*1943). Ihre Karriere begann in den frühen Sechzigern. Neben ihrer legendären Schönheit besticht noch heute ihre darstellerische Vielseitigkeit, die beide weit über den Status von Stilikonen hinaushebt. Auf einem Schwarzweissfoto, das Mitte der 1960er entstanden ist, sieht man zwei schöne, junge, schlanke Frauen, beide mit schulterlangem Haar, vor einer Air-France-Maschine stehen, offenbar kurz vor dem Abflug. Es sind die Schwestern Françoise Dorléac und Catherine Deneuve, die, so denkt man, gerade aus London aufbrechen, der Mode-, Kunst- und Pop-Metropole jener Dekade. Sie mögen zu Dreharbeiten dort gewesen sein und sich nebenbei eingekleidet haben: Dorléac, der ein langer Pony in die Augen fällt, trägt einen quergestreiften, etwas puscheligen Kurzmantel zu Hosen und Stiefeletten, dazu eine Lackhandtasche, einen kleinen Stoffbeutel und eine Tote-Bag im Animal-Print – eine wilde Mischung aus Materialien, Mustern und Farben. Ihre jüngere Schwester wirkt mit kurz überm Knie endendem dunklem Rock, Kniestrümpfen mit Rautenmuster und flachen Slippern, einem über die Schulter gehängten schweren Tuchmantel mit Goldknöpfen, einer Ledertasche in der Armbeuge und einer an den Körper gepressten Zeitung ebenso stylish, aber auf klassisch-konservative Art. Und während Dorléac etwas skeptisch, aber durchaus offen in die Kamera schaut, trägt Deneuve eine Sonnenbrille, die ihren Blick verbirgt.

À la mode française
Das Foto, das zusammen mit sechs ähnlichen Bildern 2016 in der «Vogue» veröffentlicht wurde, illustriert einen Artikel mit dem Titel «‹Like Twins› – How Catherine Deneuve and Françoise Dorléac Did Sister Style the French Way». Im Wesentlichen geht es darum, dass die beiden Französinnen als Stilikonen bis heute schwer zu übertreffen sind. Und das mag daran liegen, dass die 1942 und 1943 geborenen Schwestern noch nicht 20 waren, als sie ihre ersten Erfolge hatten und die Sixties begannen. Die erste Dekade, in der weltweit nicht nur die Jugend, sondern auch eine neue Moderne gefeiert wurde, nicht modern genug jedoch, um der in den 1950ern üblichen Geringschätzung der Frauen ein Ende zu setzen.
Die Aufbruchsstimmung der 1960er spiegelt sich in Filmen wie L’homme de Rio (1964) und La peau douce (1964). Ersterer protokolliert quasi mit staunendem Blick den Luxus des Fliegens, die verschiedensten Automobile und Maschinen und feiert die Architektur der soeben fertiggestellten Stadt Brasilia in fantastischen Totalen. Neben dem vor artistischer Beweglichkeit strotzenden Jean-Paul Belmondo wird Françoise Dorléac allerdings wie eine willenlose Puppe präsentiert. Zugunsten des kruden Plots ist sie über weite Strecken betäubt, aber wenn sie doch einmal erwacht, tanzt sie umso ungezügelter zu wilden Trommelwirbeln brasilianischer Favela-Bewohner, barfuss und mit zerzaustem Haar. Man ahnt in dieser Szene, zu welcher Leidenschaft sie fähig ist, aber die sollte erst später Roman Polanski ins Bild setzen. In La peau douce stilisiert François Truffaut gar das Fliegen zum Faszinosum: Seine von Dorléac gespielte Protagonistin ist Flugbegleiterin. In einer Szene zu Beginn des Films wird geradezu akribisch verfolgt, wie ein verspäteter Passagier doch noch seinen Flug erwischt, indem die an einzelnen Stationen arbeitenden Hostessen wunderbar kooperieren. Dass dieser als Literaturwissenschaftler, also Intellektueller, der Flugbegleiterin begehrenswert erscheint, war ebenfalls nur in den 1960er-Jahren und besonders in Frankreich möglich: Die Wirtschaft prosperierte wie noch nie seit dem Kriegsende, man konnte sich Geist und Kultur leisten und sie chic finden. Beiläufig erzählt Truffaut von der Provinzbourgeoisie, die den Intellektuellen in banale Gespräche verwickelt, während seine Geliebte, derer er sich plötzlich schämt, draussen vor der Tür wartet. Dorléac ist auch in diesem Film sehr schön und sehr passiv, und solange sie sich entzieht, ist sie interessant. Nicht so interessant allerdings, dass der Mann des Geistes sich mit ihr in der Öffentlichkeit präsentieren wollte.

Gleich und doch ganz anders
Ebenfalls 1964 drehte Édouard Molinaro mit den beiden Schwestern, die etwa gleichzeitig fünf Jahre zuvor mit der Schauspielerei angefangen hatten, La chasse à l’homme. Im Film manifestieren sich die Unterschiede zwischen der erwachsenen, raffinierten, wunderschönen Dorléac, deren Starpotenzial bereits deutlich war, und ihrer mit Schleifchen im Haar und weissem Kragen auf mädchenhaft niedlich getrimmten Schwester, die im Grunde erst nach dem Tod Dorléacs zum Star wurde. Deneuve war 1964 auch in Les parapluies de Cherbourg zu sehen, in dem sie sich züchtig und provinziell zugunsten der bürgerlichen Ehe gegen die grosse Liebe entscheidet.
Es muss schwierig gewesen sein für Catherine, in die Fussstapfen der älteren Schwester zu treten: Sie nahm den Geburtsnamen ihrer Mutter an, was sie im Nachhinein bereute, wie sie 2008 in einem Interview berichtete, und sie wurde, ursprünglich brünett wie Françoise, zur Blondine – einer sehr kühlen Blonden, von der die Regisseure nicht genug bekommen konnten. Sie spielte 1965 in Das Liebeskarussell, einer deutsch-österreichischen, verschwiemelten Adaption von Schnitzlers «Reigen», aber Dorléac war kurz vorher in La ronde (1964) aufgetreten, Roger Vadims Interpretation desselben Stoffes. Gab es Konkurrenz zwischen den Schwestern, die auf den Fotos so harmonisch wirken? Sie hatten genau gleich viele Filme gedreht, beide 20, bis sie ein letztes Mal zusammen in Les demoiselles de Rochefort (1967) vor der Kamera standen. Kurz danach kam Dorléac bei einem Autounfall ums Leben, gerade 25 Jahre alt.
Und sie drehten beide mit Roman Polanski in England, der, man muss es ihm zugestehen, beider Potenzial erkannt und für seine Zwecke nutzbar gemacht hat: Repulsion (1965) und Cul-de-sac (1966) sind zwei brillante Filme, in denen die beiden Schwestern diametral entgegengesetzte Figuren spielen. Während Deneuve in Repulsion sich unablässig imaginären Schmutz von der Haut wäscht und kratzt, bis sie Morde an Männern begeht, von denen sie sich verfolgt glaubt, verbrüdert sich Dorléac in Cul-de-sac mit einem Gangster und macht damit ihren eigenen Ehemann lächerlich, den sie gleich zu Anfang des Films aus Gründen des Amüsements in ein Negligé gesteckt hat. Während Deneuves Figur fragil, scheu und prüde ist, wirkt jene von Dorléac durchtrieben, sinnlich und gar ein wenig sadistisch. Bei Polanski stehen die Frauenfiguren im Mittelpunkt, sind nicht nur Projektionsfläche oder Dekor für Männer, sondern eigenständige Charaktere. Aber auch sie sind nur im Kontext der 1960er denkbar, als Sex und die Besessenheit davon mit der Nouvelle Vague auf die Leinwand kamen.
Wie wunderbar harmlos ist da im Vergleich Les demoiselles de Rochefort (1967), in dem Jacques Demy die Schwestern als doppelt begehrenswert feiert, sie in pastellfarbene Zwillingskostüme steckt und durch ein fröhlich buntes Szenenbild tanzen, nein: tänzeln lässt. Denn auch wenn die beiden einen an Jane Russell und Marilyn Monroe angelehnten Tanz- und Gesangsauftritt hinlegen, so haben sie doch nichts von deren offenherzigen und ein wenig derben Reizen. Sie sind schon in frühen Jahren Damen gewesen: von unnachahmlicher Eleganz und erlesener Schönheit. Catherine Deneuve ist es bis heute geblieben.
Daniela Sannwald

Daniela Sannwald, Berlin, veröffentlichte zuletzt «Leinwandgöttinnen» (2016, mit Tim Lindemann) und schreibt regelmässig u. a. für «Der Tagesspiegel» (Berlin), «ray» (Wien), für Anthologien und Kataloge. Sie ist auch als Ausstellungskuratorin für die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen tätig.