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Digital Cinema Festival: 15 Filme für die Zukunft

Als erstes Kino der Schweiz läutet das Filmpodium das digitale Zeitalter für das Klassiker-Repertoire ein. Unsere erste kleine Auswahl digitaler Filme zeigt, was das neue Medium alles bietet: legendäre Werke wie Abend der Gaukler und The Red Shoes in perfekt restaurierten Fassungen, von den Regisseuren persönlich überarbeitete Filme wie Blade Runner im «Final Cut» oder Amadeus im «Director’s Cut», schliesslich das Heimkino-Format Blu-Ray, das in manchen Fällen bereits valablen Ersatz für ramponierte Filmkopien bietet. Meine nächtlichen Sitzungen vor dem Computer und die morgendlichen im Kinosaal gerieten diesen Sommer zu einem Wechselbad unkontrollierbarer physischer Zustände: plötzliches Herzklopfen, leichte Schwindelgefühle, der Mund bald trocken vor Aufregung, bald wässrig vor Appetit. Zeit für einen gründlichen Check-up beim Arzt? Nein, ich erforschte bloss die Möglichkeiten, die uns die frisch installierte Digital-Cinema-Anlage des Filmpodiums erschliessen wird. Ich sah Bilder von einer Brillanz und erlebte grosse «alte» Filme in einer Unversehrtheit, die vor kurzem noch reines Wunschdenken waren. Von Michael Powells Tanzfilm The Red Shoes (1948) beispielsweise wurden die drei Streifen des Technicolor-Negativs, die heute weltweit kein Filmlabor mehr nach dem herkömmlichen Verfahren zu einem Positiv fügt, einzeln gescannt und digital repariert. Direkt vom Kameranegativ liess Regisseur Ridley Scott seinen Science-Fiction-Film Blade Runner (1982) mit der Hyper-High-Definition-Auflösung 4K neu abtasten (4096 x 2160 Pixel statt dem derzeit gängigen 2K-Format 2048 x 1080) und nahm damit jenen sorgfältigen «Final Cut» vor, für den ihm beim «Director’s Cut» von 1993 die Zeit gefehlt hatte. In Schweden schliesslich ist bereits ein Grossteil von Ingmar Bergmans Frühwerk für das digitale Kino aufbereitet worden.
Das Beste an den beschriebenen Beispielen aber ist, dass das Filmpodium nicht mehr jahrelang bloss darauf hoffen kann, in irgendeiner vagen Zukunft vielleicht eine Kopie der neuen Fassungen zeigen zu dürfen, für die ein freundliches Filmarchiv gnädig zwei Vorstellungen bewilligt, weil man die kostbare neue Kopie ja schonen muss … Nein, The Red Shoes liegt bereits bei einem internationalen Klassikerverleih in Schottland vor, und den Final Cut von Blade Runner hat Warner Brothers in einer derart perfekten Blu-Ray auf den Markt gebracht, dass man sich fragt, ob das unkomprimierte Digital-Cinema-Format überhaupt noch besser aussehen kann. Die besagten Frühwerke von Bergman wiederum sind deutsch untertitelt worden von einem paneuropäischen Digital-Kino-Verleih, der kürzlich mit der Unterstützung des EU-Filmförderprogramms Media ins Leben gerufen wurde.

Brave New World?
«Schön und gut», mögen Sie an dieser Stelle nun sagen, «doch ist des guten Kinomannes Euphorie über diese jüngsten Entwicklungen nicht leicht übertrieben?» Sie werden mich besser verstehen, wenn Sie sich die bisherige Situation kurz vergegenwärtigen: Ein erheblicher Teil der Klassikerkopien, die bei Verleihern und in den Filmarchiven weltweit lagern, ist durch Abnutzung und chemische Zersetzung mittlerweile so stark angegriffen, dass ihre Vorführung nur noch beschränkten Genuss bietet und immer häufiger gar nicht mehr bewilligt wird. Neue Kopien wiederum sind abseits vom Massenmarkt so kostspielig, dass sie sich keine Institution im grossen Stil leisten kann. Die Lage des Filmpodiums als Nutzniesser solcher Kopien wurde und wird deshalb jährlich prekärer. Filme, die in den Gründerjahren der Filmmuseen und kommunalen Kinos fast beliebig gespielt werden durften, sind in der Schweiz immer schwerer erhältlich, der Zeit- und Finanzaufwand für ihre Beschaffung steigt unablässig.
Im Moment zeichnet sich das Schlaraffenland des digitalen Klassikerkinos allerdings erst als ein Leuchten am Horizont. Im echten digitalen Kinoformat (die erwähnten unkomprimierten «Digital Cinema Packages», die von externen Festplatten auf einen Server geladen werden) sind mir noch keine 100 Klassiker bekannt, und unter den rund 4000 Filmen, die bis jetzt als hochauflösende Blu-Ray-Discs auf dem Markt sind, finden sich höchstens 400, die vor 1990 entstanden sind – unter letzteren wiederum reicht das Qualitätsspektrum von stupend bis unzumutbar. Als massives Problem zeichnet sich zudem die Konzentration von Lizenzen und technischem Know-how in den Händen einiger weniger kommerzieller Anbieter ab, die den Zugang zu Soft- und Hardware künstlich verkomplizieren, um die Preise diktieren zu können. Weitgehend offen ist schliesslich die Frage der Haltbarkeit digitaler Datenträger, die möglicherweise alle paar Jahre umkopiert werden müssen.

Mehr sehen, mehr verstehen
Unser Digital Cinema Festival versteht sich deshalb als ein erstes Panorama, das die Bandbreite der denkbaren High-Definition-Medien aufzeigt und eine Diskussionsgrundlage bietet. Für technisch Interessierte haben wir ein Vergleichs-Screening und ein Podiumsgespräch organisiert (siehe Jubiläums-Specials), um die Eigenheiten digitaler und analoger Medien zu veranschaulichen und zu diskutieren. Die präventivmedizinische Warnung, die ich 1998 im Tages-Anzeiger abgab, nachdem ich die ersten DVD-Filme gesehen hatte, muss auf alle Fälle wiederholt werden: «Digital Cinema kann Ihre Gesundheit gefährden!» Das Suchtpotenzial ist enorm.
Andreas Furler