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Joel & Ethan Coen: Nothing Comes with a Guarantee

Honey trägt atemberaubend lässige Kleider wie Lauren Bacall in ihren Filmen mit Humphrey Bogart – und ist Privatdetektivin. Sie ist lesbisch, sympathisch erfolglos, erotisch fordernd und bewegt sich durch eine gnadenlose, von der Sonne Bakerfields ausgebleichte Welt. Das queere B-Movie stammt aus der Feder von Ethan Coen und seiner ebenfalls queeren Frau Tricia Cook – und macht total Spass. So also klingt Ethan minus Joel plus Tricia? Auch der Bruder arbeitet in den letzten Jahren solo respektive mit seiner fabelhaften Frau Frances McDormand. Am Set ihrer gemeinsamen Filme schienen die Brüder angeblich wie ein Hirn, das sich zwei Körper teilte. Als Editoren ihrer Filme verpassten sie sich ein gemeinsames Pseudonym inkl. Biografie. Oder kritisierten unter falschem Namen das eigene Werk. Das Filmpodium macht sich anlässlich seiner Schweizer Premiere von Honey Don’t auf die Suche nach Joel und Ethan Coen und schaut mit einer Retrospektive auf das überbordende Werk der Brüder zurück, das mit bissigem Humor, Lakonie und absurder Komik die Untiefen der amerikanischen Realität vermisst und der Unvorhersehbarkeit des Lebens trotzt – oder sich ihr ergibt. Je nach Interpretation. «Lamentieren ist fruchtlos, irgendwas kann immer schiefgehen, und hier unten – im Erdendasein, im Kapitalismus, in den USA – bist du allein»: Die Grundzüge ihrer Philosophie haben Joel & Ethan Coen eigentlich schon in den ersten Voiceover-Sätzen ihres Debuts ausgeplaudert. Doch 1984 schien Blood Simple im US-Independent-Kino daheim zwischen Splatter-Horror und der anrollenden ironisch-coolen Gangster-Welle. Die Rezeption feierte die grotesken Kamerablicke, die schwarzhumorigen Gewaltspitzen. Freilich: Auch das waren und sind die Coens. Doch von Beginn an war da mehr: ein eigener Kosmos. Hinweg über Genres, Epochen, Geografie eine filmische Weltsicht auf die Absurdität des Menschseins. Urtext, Folie für fast alle Erzählungen der Coens ist das alttestamentarische Buch Hiob. Hiob, (erfolg)reich, allseits be- und geliebt, ist ein exemplarisch gottgefälliger Mann. Doch ein satanischer Engel findet das angesichts seines verwöhnten Daseins sehr wohlfeil. Also erlaubt Gott dem Advocatus Diaboli, Hiob zu prüfen. Ihm wird alles, alles genommen, bis auf sein eigenes Leben. Er aber fragt und klagt nicht wider Gott. Von diesem Archetyp sind die Coens geradezu besessen: der Mensch, gegen den sich alles verschworen hat, ohne dass er den Grund begreifen kann. Ihr Oeuvre ist bevölkert von Figuren, die ihre mühsam geschmiedeten Pläne spektakulär aus dem Ruder laufen sehen. Die heil- und ahnungslos verstrickt sind in die Mühlen von komplexen Verschwörungen und Systemen, in Bewegung gesetzt weit jenseits ihres begrenzten Horizonts.

«Something Can Always Go Wrong»

Die Coens sind aber auch Meister darin, diese universelle Konstellation sehr konkret in der amerikanischen (Seelen-)Landschaft zu verorten. Sie selbst erblickten in einem Vorort von Minneapolis das fragwürdige Licht der Welt, Joel 1954, Ethan 1957, Sprösslinge einer Kunsthistorikerin und eines Ökonomieprofessors. Die jüdische Erfahrung steckt tief in ihrem Erbe, ihren Filmen. Sie haben ein besonderes Empfinden, was es heisst, in den USA zugleich erzheimisch und fremd zu sein. Die USA sind bei ihnen weniger Vereinigte Staaten als eine Ansammlung von Enklaven. Manifestiert besonders in der Sprache: Die Dialoge der Coens sind ein übersteigert präzises Zelebrieren von Dia-, Sozio-, Idiolekten. Der Götterhimmel jedoch scheint bei ihnen unbewohnt. No Country For Old Men ist fast buchstabengetreu in der Adaption des Romans von Cormac McCarthy. Dessen Weltbild aber findet sich auf den Kopf gestellt einfach durch eine Perücke. Das alttestamentarisch-metaphysisch Böse in Gestalt des Killers Anton Chigurh wird auf der Leinwand durch das Haarteil zum fast albernen Agenten des puren Zufalls. Nicht minder absurd als das pure Dasein ist die Existenz in menschgemachten Hierarchien, Systemen. Seien es die rivalisierenden Gangsterclans in Miller's Crossing. Sei's der Kapitalismus in The Hudsucker Proxy – wo ein leerer Kreis, die schwarze Null, als Hula-Hoop zum Verkaufsschlager wird. Oder sei es gar das Filmgeschäft, das klassische Hollywood selbst: als Albtraum in Barton Fink, als Farce in Hail, Caesar!. Die Coens sind Trickster, die immer wieder genüsslich mit den Gepflogenheiten des Filmgeschäfts spielen. Für «Roderick Jaynes», ihrem Pseudonym als Cutter, haben sie eine Biografie erfunden, ihn eine (wenig schmeichelhafte) Einführung zu einem Sammelband ihrer Drehbücher schreiben lassen, das Foto eines alten Briten als angebliches Portrait zur Oscar-Verleihung eingereicht. Fiktive Filmwissenschaftler dürfen Audiokommentare zu Heimkino-Veröffentlichungen beisteuern. Und der «Director's Cut» von Blood Simple, minimal gekürzt(!), ist eine Verhöhnung der 90er-Welle an revidierten, meist aufgeblähten Fassungen.

Men of Constant Sorrow

In ihren kälteren Filmen, etwa der Geheimdienst-Groteske Burn After Reading, wirken die Coens mitunter selbst wie kleine Götter, die als Autoren und Regisseure einen Heidenspass daran haben, ihre Figuren durch Parcours der Torturen zu schicken. Während sie mit der Laborlupe grinsend zusehen, wie sich diese Menschlein hilflos abstrampeln. Und wie (männliche) Hollywoodstars der ersten Garde sich, besetzt als pomadige Bleichgebiss-Popanze, unflätige Tölpel, willfährig zum Affen machen. Doch die Coens sind keine Zyniker, Nihilisten. Es gibt immer wieder diese Inseln von Menschlichkeit im absurdesten Treiben: der Schneider, der aus reiner Gutmütigkeit eine Gratis-Doppelnaht spendiert – die buchstäblich zum lebensrettenden Faden wird, an dem Mr. Hudsuckers Leben hängt. Der Ehemann der Polizistin Marge, der in dem Gemetzel-Winter von Fargo seine Enten als Briefmarkenmotiv malt. Wer den Coens aber wirklich nahekommen will, muss sich insbesondere drei ihrer weniger beachteten, aber schönsten Filmen widmen. In deren Zentrum melancholischere Sinnsucher stehen: Ed Crane, der Friseur in The Man Who Wasn't There. Larry Gopnik, der Physikprofessor in A Serious Man (dem autobiografischsten Coen-Werk). Und der titelgebende Folksänger in Inside Llewyn Davis. Ihnen bröckelt die Existenz auf weniger dramatische, aber ebenso profunde Art weg. Ihnen winken aber auch Momente sanfter Hoffnung. Immer wieder öffnet dabei Musik die Tür zu einer anderen, womöglich besseren Welt: Beethoven etwa, der hereinweht in Ed Cranes Dasein. Oder das Lamento des aus dem Gefängnis entflohenen Südstaaten-Odysseus, das in O Brother, Where Art Thou? zum Bluegrass-Hit wird.

«Down Here, You're on Your Own»

Am Set scheinen die Brüder angeblich wie ein Hirn, das sich zwei Körper teilt. Aber vielleicht erlauben ihre jüngsten Arbeiten, den individuellen Beitrag etwas auseinanderzudividieren. Joel Coens The Tragedy of Macbeth siedelt seinen von Schicksalsmächten gebeutelten Protagonisten im räumlich Abstrakten, sprachlich Historisierenden an. Ethan Coen hingegen erscheint eher als der Mann für die munter blutigen und zotigen Momente. Weshalb vielleicht die Kritik teils nicht wahrhaben wollte, wie schlau und subversiv Drive-Away Dolls und Honey Don't! sind. Zwei Drittel eines geplanten Lesben-B-Picture-Triptychons, sind sie vergnügte Hommagen an das alte US-Indie Kino, dem Blood Simple einst Starthilfe gab. Ob auf dem Road Trip von der Statue des Puritaners William Penn zu jener des Kolonisierers Ponce de Léon; ob im sonnengebleichten Bakersfield, wo einst schon Psycho Station machte: Die Heldinnen - jung, weiblich, queer - stemmen sich hier deutlich lustvoller und resoluter gegen die undurchsichtigen Zumutungen der (Männer-)Welt. Von Soloprojekten zu sprechen, trifft bei beiden nicht: Statt des Bruders ist nun jeweils die Ehefrau unerlässliche Kollaborateurin. Der Shakespeare-Film ist Bühne für Frances McDormand als Lady Macbeth. Und Tricia Cooke ist bei Ethan – ihre Ehe ist platonisch, Cooke lesbisch – Co-Autorin und Co-Regisseurin, nur aufgrund von Gewerkschaftsregularien ohne Credit. Sie ist wesentlich verantwortlich für die neue Garde wehrhafter Protagonistinnen. Schon vor den gewieften «Dolls», der taffen Privatdetektivin Honey beisst sich das Böse bei den Coens aber erstaunlich oft die Zähne aus an aufrechten Frauen, an reinen Toren oder der schlichten Anständigkeit. In ihrer unterschätzten The Ladykillers-Variation zerbricht gar der Teufel in Person (ausgerechnet: Tom Hanks) an dem Bollwerk einer strenggläubigen Witwe. Wie David Lynchs Träume vom US-Kleinstadtleben der 50er scheint das mitunter ironisch. Kommt aber zumindest in seiner Sehnsucht, es möge so sein, von ehrlichem Herzen. Wo die Daseinszumutungen jedoch nicht zu besiegen sind, da hat man sie tapfer zu ertragen. Die Coens sind Anhänger der altgriechischen Stoiker. Und haben in The Big Lebowski die perfekte Verkörperung derer Philosophie geschaffen: den bekifften, bowlingspielenden Althippie Jeffrey «The Dude» Lebowksi. «The Dude abides» (in der Synchro zu aktiv als «Der Dude packt das» übersetzt): Knapper als in den Schlussworten dieses Films wurde die Lehre der Stoa nie auf den Punkt gebracht.
Thomas Willmann

Thomas Willmann lebt als freie Autor in München. Seine Filmkritiken erscheinen u.a. im Münchner Merkur und bei artechock. Sein Debutroman «Das finstere Tal» wurde von Andreas Prochaska verfilmt.