Kozaburo Yoshimura: Die Kosten der Schönheit
Kozaburo Yoshimura ist ein Meister das klassischen japanischen Kinos, dessen Werk ausserhalb Japans heute jedoch nur noch wenigen bekannt ist. Dabei schuf er einige der eindrücklichsten Dramen der Blütezeit des japanischen Films. Im Mittelpunkt seiner Filme stehen immer wieder der rapide soziale Wandel der japanischen Nachkriegsgesellschaft und dabei besonders die Frauen, die bei Yoshimura gesellschaftlichen Normen zum Trotz ihre eigenen Wege gehen. Die Retrospektive bietet die überaus seltene Gelegenheit, dieses aussergewöhnliche, in betörendem Schwarzweiss wie in sinnlicher Farbe inszenierte Werk zu entdecken – und das mit sieben 35-mm-Filmkopien sowie einer neuen 4K Restaurierung. Parallel dazu zeigen wir noch drei Regiearbeiten von Kaneto Shindo, dem langjährigen Drehbuchautor Yoshimuras, dessen Filme sich deutlich ausgeprägter als die seines Mentors an den jungen Filmrebellen der 1960er-Jahre orientieren.
«Sie ist so schön, warum haben sie sie nicht zur Geisha ausbilden lassen? Was für eine Verschwendung!» Das sagt in Kozaburo Yoshimuras Clothes of Deception (1951) eine Passantin über Taeko, eine junge Frau, die im Rotlichtviertel Kyotos lebt, aber eben nicht in der sexarbeitsnahen Entertainmentbranche arbeitet, sondern einen Bürojob hat und von einem Leben im fernen Tokio träumt.
Schönheit ist nicht nur in Clothes of Deception, sondern in vielen Filmen Kozaburo Yoshimuras ein zweischneidiges Schwert. Sie erfreut einerseits die Sinne, trägt Glück und – in Yoshimuras Kino ab 1956 – Farbe in den grauen, beengten Alltag. Andererseits ist sie stets auch eine Ware und, vor allem in traditionellen Gesellschaften, ein Mittel der Normierung und Unterdrückung. Auch ein goldener Käfig ist schön. Vor allem für die, die nicht selbst drin sitzen. Yoshimuras Kino ist eines, das die Augen nicht verschliesst vor den Kosten der Schönheit; deshalb ist es aber noch lange nicht dazu bereit, selbst der Schönheit zu entsagen.
Kozaburo Yoshimura, am 9. September 1911 geboren, durchläuft eine durchaus typische Laufbahn für einen japanischen Regisseur seiner Zeit. Bereits im Alter von 18 Jahren tritt er in die Dienste von Shochiku, einer der wichtigsten Produktionsfirmen des Landes, und arbeitet dort hauptsächlich als Assistent Yasujiro Shimazus, eines der führenden Regisseure des Studios. 1939 wird er zum Langfilmregisseur befördert, in den Folgejahren entstehen einige Filme, die dem Militarismus der Zeit huldigen. Sein erster Nachkriegsfilm, The Ball at the Anjo House (1947), immer noch für Shochiku, wird zu einem Riesenerfolg. Ein paar Jahre später gründet er gemeinsam mit Kaneto Shindo, der die Drehbücher zu zahlreichen seiner Filme schreibt, die Kindai Eiga Kyokai, englisch Modern Film Association, eine unabhängige Produktionsfirma. Die meisten Filme seiner produktivsten Phase in den 1950ern und 1960ern entstehen jedoch für das Studio Daiei. Ab Mitte der 1960er-Jahre kommt seine Karriere auch aufgrund gesundheitlicher Probleme ins Stocken, bis Mitte der 1970er kann er noch eine Handvoll Filme fürs Kino realisieren, danach zieht er sich aus der Industrie zurück.
Neue Filme für eine neue Zeit
Gemeinsam mit unter anderem dem ein Jahr älteren Akira Kurosawa, dem ein Jahr jüngeren Keisuke Kinoshita und auch dem gleichfalls ein Jahr jüngeren Kaneto Shindo ist Yoshimura Teil einer Generation japanischer Filmemacher, die die Goldene Ära des japanischen Kinos in den 1950er-Jahren entscheidend prägt. Einer Generation, die ihrerseits zutiefst geprägt ist von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs und der Katastrophe, in die der japanische Imperialismus das Land geführt hatte.
Es ist eine Generation der Erneuerer, des demokratischen Aufbruchs in die dem zivilen Fortschritt und ganz besonders in den ersten Jahren nach Kriegsende dem idealistischen Humanismus verpflichtete Nachkriegsmoderne. Gleichzeitig ist es freilich eine Generation, die ihre ersten Schritte in der Filmindustrie bereits vor dem Krieg getan hat und die damit ihre Wurzeln noch im alten Japan mit seinen quasifeudalistischen Strukturen und rigiden sozialen Normen hat. Reformer eher denn Revolutionäre, bereichern Yoshimura und seine Kollegen das Kino ihrer Zeit mit neuen Tonfällen und neuen Themen, durchaus auch mit Formexperimenten, ohne indes die Grundfesten der japanischen Kinotradition – das Genre- und Studiosystem vor allem – infrage zu stellen.
Shindo nimmt in dieser Generation insofern eine Sonderstellung ein, als er sich einerseits politisch deutlich aufseiten der Linken positioniert und ein schärferes Auge als seine Kollegen für die sozialen Härten des ökonomischen Booms der Nachkriegszeit hat und andererseits in seinen eigenen Regiearbeiten ab den 1960er-Jahren ästhetisch die Nähe zu den radikalen Kinorebellen der Neuen Welle um Nagisa Oshima und Masahiro Shinoda sucht. Filme wie The Naked Island (1960), Onibaba (1964) und Kuroneko (1968) klopfen den kulturellen Traditionsbestand mit viel Stilwillen auf revolutionäres Potenzial ab.
Yoshimuras Filme sind leiser und weicher, aber deshalb nicht weniger präzise im Blick auf ihre Gegenwart. Deutlicher noch als bei Shindo, Kurosawa und Kinoshita artikuliert sich der Konflikt zwischen dem Alten und dem Neuen bei ihm direkt in den Filmen aus. Gleich The Ball at the Anjo House handelt von nichts anderem: Eine vormals reiche und privilegierte Familie sieht sich nach dem Krieg gezwungen, sich von einem grossen Teil ihrer Besitztümer zu trennen – vor allem von dem titelgebenden Haus, einer ausladenden Villa, die in ihrer feudalen Opulenz offensichtlich nicht ins moderne, demokratische Japan passt. Der Film selbst, das zeigt schon seine teils entfesselt-schwerelose Bildsprache an, ist zweifellos aufseiten des Fortschritts. Und weiss doch, dass der notwendige Aufbruch einer ins Ungewisse ist. Hart erkämpft fühlt sich Setsuko Haras Lächeln in der umwerfenden Schlussszene an.
In Yoshimuras Filmen der 1950er wird oftmals Kyoto zum Schauplatz und Medium des Konflikts zwischen Alt und Neu. Unter den schwarzen Ziegeldächern der einstigen Hauptstadt mit ihrer langen, wechselvollen Geschichte setzt sich die Moderne nur langsam durch, gegen viele Widerstände. Wieder und wieder tauchen die Filme ein in die belebten Gassen Kyotos, in denen Schönheit und Beengung, Begehren und Gewalt fliessend ineinander übergehen. Neugierig und zugewandt, nie moralisierend oder von oben herab blickt Yoshimura auf diese Welt.
Selbst ist die Frau
Das imperiale Japan war ganz auf heroische Männlichkeitsideale und die Aufopferung des Einzelnen für die Nation zugeschnitten. Yoshimuras Kino hingegen steht auf der Seite des Individuums – und einer neuen, zivilen Weiblichkeit. Es sind vor allem Frauen, die sich in seinen Filmen stets eigensinnige Wege durch eine Gesellschaft im Umbruch bahnen. Vor allem drei Schauspielerinnen – die gerissene und pragmatische Machiko Kyo, die elegante und sinnliche, oft auch leicht melancholische Fujiko Yamamoto sowie die enigmatische und eigensinnige Ayako Wakao – werden zu Fixpunkten in seinem Schaffen, vielleicht gar zu drei einander ergänzenden Optionen weiblicher Subjektivität.
Die emotionale Intensität seiner Frauenporträts hat Yoshimura Vergleiche mit Kenji Mizoguchi eingebracht, einem Regisseur, dessen spätes Hauptwerk ebenfalls hauptsächlich bei Daiei entsteht – ein Projekt, An Osaka Story (1957), übernimmt Yoshimura nach Mizoguchis Tod von diesem. In das beim älteren Regisseur dominante melodramatische Muster der «gefallenen Frau» passen Yoshimuras Protagonistinnen freilich selbst dann nicht, wenn sie sich gelegentlich dazu gezwungen sehen, ihren Lebensunterhalt im Rotlichtviertel zu verdienen. Denn Yoshimuras Frauen sind keine Opfer, sondern Unternehmerinnen. Sie stellen die wohlschmeckendsten Süsswaren Kyotos her (A Woman’s Uphill Slope, 1960) oder farbenfrohe Kimonos (Undercurrent, 1956), leiten Schauspielschulen (The Ladder of Success, 1958) oder mondäne Nachtclubs (An Osaka Story). Die Probleme beginnen stets erst dann, wenn sie in der Liebe auf derselben Unabhängigkeit bestehen wie im Geschäftlichen. Denn die Männer haben allzu oft Mühe, mit den Frauen und den sich verändernden Zeiten Schritt zu halten.
Nicht zuletzt hat der Freiheitsdrang der Protagonistinnen Yoshimuras stets eine ästhetische Seite. Wie die Frauen in seinen Filmen sich ein selbstbestimmtes Leben und das Recht auf neue Erfahrungen erkämpfen, erarbeitet sich Yoshimuras Kino Schritt für Schritt neue Ausdrucksdimensionen. Undercurrent etwa ist nicht nur sein erster Farbfilm, sondern gleichzeitig ein Film über das Verlangen nach Farbe – über das Verlangen einer Frau nach neuen, anderen Farben und vielleicht auch nach Schönheit zu ihren eigenen Bedingungen.
Lukas Foerster
Lukas Foerster lebt in Köln und schreibt als freier Autor über das Kino und anderes.
Für das Zustandekommen des Programms danken wir der Japan Foundation und dem Stadtkino Basel für die schöne Zusammenarbeit.