Under the Volcano: Filme im Ausnahmezustand
Sie stehen für den Anfang und das Ende. Bedeuten Tod und Fruchtbarkeit zugleich. Sie sind gefürchtet für ihre Zerstörungskraft, bewundert als mitreissendes Naturspektakel. In einer Welt, in der sich die Wissenschaft die Erde scheinbar untertan gemacht hat, bleiben sie unvorhersehbar, unbeherrschbar. Auch auf Filmemacher:innen üben sie eine grosse Faszination aus, sei es im Blockbusterkino oder als Gegenstand mythologischer wie philosophischer Überlegungen. Die Retrospektive begibt sich in den Bann der Vulkane im Kino und spannt den Bogen vom Katastrophen- bis hin zum Experimentalfilm. Neben dem Blick der Filmemacher:innen soll aber auch derjenige von Wissenschaftler:innen zum Tragen kommen: Am 28. Februar sind die Vulkanolog:innen der ETH Zürich zu Gast im Filmpodium und bringen ihre Arbeit in einen Dialog mit den filmischen Vulkanausbrüchen.
Ein paar Vorzeichen gibt es immer. Brodelndes Wasser, nervöse Tiere, ein leichtes Erdzittern. Kleine Irritationen, die etwas Grösseres, Gefährlicheres ankündigen: den Moment, in dem glühende Lava aus dem Boden schiesst, in dem sich das Innere der Erde nach aussen stülpt. Schon diese Dramaturgie macht Vulkanausbrüche zu eminent filmischen Ereignissen. Sie ermöglicht es dem Kino, mit unseren Erwartungen zu spielen oder auch uns einen Wissensvorsprung gegenüber den Figuren auf der Leinwand zu verschaffen. Wenn sich im Hollywood-Spektakelfilm Volcano (1997) mitten in Los Angeles ein harmlos ausschauender Teich zu erhitzen beginnt, dann ist das für die meisten Stadtbewohner:innen kein Grund zur Aufregung. Jedenfalls keiner, der nicht neben dem alltäglichen Ärger über verstopfte Highways und grassierende Kriminalität verblassen würde. Wir hingegen wissen, was die Stunde geschlagen hat.
Oder vielleicht glauben wir das nur. Denn auch wir, die Zuschauer:innen der Vulkanfilme, können nie ganz begreifen, was es ist, womit uns der Vulkan und auch die Vulkanbilder konfrontieren: ein Naturereignis, das die Ordnung der Natur auf den Kopf zu stellen scheint, das sichtbar macht, was für gewöhnlich im Verborgenen bleibt, das die äussere Welt schlagartig von einem Objekt unseres Blicks in ein Subjekt verwandelt, das wiederum uns anzublicken scheint, das Leben vernichtet, obwohl es der Quelle allen irdischen Lebens, unserer Erde, entfliesst. Kein Wunder, dass das Kino seit seinen Anfängen und bis heute von Vulkanen fasziniert ist, dass es wieder und wieder auf sie zurückkommt, ohne sich je definitiv festlegen zu können, mit was genau es da zu tun hat: mit einem naturwissenschaftlich erschliessbaren Phänomen? Mit einer vielfältig einsetzbaren Metapher? Mit einem Medium des Spektakels? Mit einem die Grenzen der filmischen Vorstellungskraft sprengenden Rätsel?
Manchmal nur: mit einer touristischen Attraktion. Als eine solche taucht der Titelvulkan bereits 1896 in der kurzen Lumière-actualité Port et Vésuve (1896) auf. Der weltbekannte Berg im vorläufigen Ruhezustand, als postkartentauglicher Bildhintergrund. Man kann eine Linie ziehen von diesen ersten Vulkan-Bewegungsbildern zu Fiona Tans Essayfilm Ascent (2016), der sich dem vielleicht ikonischsten aller Vulkane widmet: dem Fujiyama, höchster Berg und wichtigstes Wahrzeichen Japans. Dass der Fuji nach wie vor als aktiver Vulkan gelistet ist und jederzeit wieder Feuer spucken kann – der letzte Ausbruch ist erst gut 300 Jahre her, in vulkanologischen Zeitdimensionen ein blosser Wimpernschlag –, mag man sich kaum vorstellen angesichts der majestätischen Ruhe und Harmonie, die er auf Abertausenden von Bildern und Fotografien, aber eben auch in vielen Filmen ausstrahlt. Von Nahem freilich, zeigt Tans Film, verliert der Fuji seine Postkarten- oder auch Selfie-Schönheit: Wie viele Vulkane besteht er äusserlich aus kargem, dunklem Gestein, wer ihn besteigen will, muss sich durch eine lebensabweisende Mondlandschaft kämpfen, die eine Ahnung gibt von den Kräften, die den Berg erschaffen haben.
Schon das frühe Kino entfesselt bald andere, wildere Potenziale des Vulkanischen. Der Special-Effects-Magier Georges Méliès stellt in Éruption volcanique à la Martinique (1902) den katastrophalen Ausbruch des Mount Pelee auf den Antillen, der 1902 Zehntausenden Menschen das Leben gekostet hatte, als Filmstudio-Budenzauber nach. Auch das bedeutet Vulkankino: Lava sehen und nicht zu Asche verglühen. Hier ist womöglich der Ursprung des Nahverhältnisses zu suchen, das das Kino und die Vulkane pflegen: in einer eigenartigen Verschränkung von Sterblichkeit und Verlebendigung.
Eine Urszene dieser Verschränkung ist der Untergang Pompejis: Die Stadt im Süden des heutigen Neapel versank im Jahr 79 nach Christus nach einem Ausbruch des Vesuvs unter vielen Metern Lava, alles Leben in den Strassen wurde ausgelöscht – und gleichzeitig konserviert. Wie das Kino das Antlitz und selbst unwillkürliche Bewegungen längst Verstorbener im Bild bewahrt, produzierte die glühend heisse Gesteinsmasse in Pompeji fast wie in einer Dunkelkammer einen Abdruck des Alltagslebens einer römischen Kleinstadt im ersten Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Kein Wunder, dass sich das Kino dem Schicksal Pompejis gleich mehrfach gewidmet hat, zuletzt 2014 in einem perfekt durchstilisierten Actionfilm. Paul W. S. Anderson entwirft sein Pompeii als einen spektakulären, mit allen Wassern zeitgenössisch-digitaler Effektkunst gewaschenen Bewegungsparcours – der doch von Anfang an auf eine finale Stillstellung hin perspektiviert ist.
Zwischen diesen beiden Polen – den Lava-Bastelarbeiten der Filmpioniere und den hyperrealen Feuerstürmen zeitgenössischer Bildtechnik – entfaltet sich das reiche Feld des vulkanischen Kinos. Die Streifzüge, die das Filmpodium unternimmt, fördern unter anderem die überraschende Erkenntnis zutage, dass Vulkanfilme gern im Doppel auftreten. So entstehen 1949/50 auf den Äolischen Inseln im Norden Siziliens zeitgleich zwei Vulkanfilme, beide mit einem ikonischen Superstar ihrer Zeit in der Hauptrolle: Roberto Rossellini und Ingrid Bergman drehen Stromboli (1950) auf der titelgebenden Insel, William Dieterle und Anna Magnani filmen ein paar Dutzend Kilometer südwestlich am Golf von Salerno Vulcano (1949). Beide Filme erkunden das metaphorische Potenzial des Vulkanischen: Die beiden Hauptfiguren betreten die Inseln als Aussenseiterinnen, als sexuell selbstbestimmte Frauen, die mit der konservativen lokalen Bevölkerung in Konflikt geraten. Das Brodeln im Innern der Erde verweist gleichermassen auf soziale Spannungen und auf unheimliche Gefühle, die zum Ausdruck, zum Ausbruch drängen.
1997 wiederum erreichen gleich zwei millionenschwere amerikanische Blockbustervulkanfilme die Kinos. Sowohl Roger Donaldsons Dante’s Peak als auch Mick Jacksons Volcano variieren geschickt gängige Klischees des Katastrophenfilms. In beiden Filmen erscheint das Vulkanische in erster Linie als Herausforderung für die digitale Effektkunst – die Natur, die die Zivilisation bedroht, ist selbst hochgradig artifiziell. Gleichwohl entwerfen die Filme sehr unterschiedliche Bildwelten: In Dante’s Peak entfaltet sich das Spektakel vor der eindrucksvollen Naturkulisse des amerikanischen Nordwestens, in Volcano hingegen manifestiert sich die tödliche Lava, siehe oben, inmitten einer modernen Millionenstadt.
Was fehlt noch? Keine Filmreihe und auch kein Text zum Vulkankino kommt darum herum, den vulkanischsten aller Filmemacher zu würdigen: Werner Herzog. Die «ekstatische Wahrheit», der dieser Weltreisende des Kinos seit Jahrzehnten nachspürt, offenbart sich kaum irgendwo schlagender als im Vulkanausbruch, einem alle Massstäbe des Menschlichen überschreitenden Naturereignis. Im Blick in den ausbrechenden Vulkan, das zeigt Die innere Glut – Requiem für Katia und Maurice Krafft (2022), sein Porträtfilm über zwei andere Vulkanbesessene, kommt das Kino zu sich selbst. Mindestens genauso eindrücklich ist freilich Herzogs Film über einen Vulkan, der sich seiner und unserer Schaulust verweigert. In La Soufrière – Warten auf eine unausweichliche Katastrophe (1977) fliegt der Filmemacher mit seinem Team auf die Insel Guadeloupe, auf der eine katastrophale Eruption angekündigt ist. Die Insel wird evakuiert, selbst die Tiere flüchten angesichts der Vorboten einer gewaltigen Eruption ins Meer. Dann jedoch passiert – nichts. Herzog fühlt sich um das Spektakel betrogen – und muss erkennen, dass im Verhältnis Mensch - Vulkan die Natur immer das letzte Wort hat. Der nicht ausbrechende Vulkan wird dem Kinoekstatiker zum kosmischen Witz.
Lukas Foerster
Lukas Foerster lebt in Köln und schreibt als freier Autor über das Kino und anderes.