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A Girl Walks Home Alone at Night: Women Make Horror!

Horrorfilme verwandeln unsere Urangst vor dem Tod in ein lustvolles Spiel. Das Genre eignet sich aber auch perfekt für ironische Überzeichnungen, sozialkritische Aneignungen – und für die Feier von Grenzüberschreitungen. Das zeigen insbesondere jene Horrorfilme, die von Frauen gedreht wurden und die nach langem Schattendasein seit ein paar Jahren einen anhaltenden Boom erleben. Mit seiner Mini-Anthologie lädt das Filmpodium zu einem ebenso haarsträubenden wie augenöffnenden Trip durch 50 Jahre Frauen-Horrorfilme. Weil sie die «offensichtliche Passivität der Frauen» in den Vampirfilmen von Männern als «verstörend und ziemlich langweilig» empfand, beschloss die Horrorfilmpionierin Stephanie Rothman Anfang der 1970er-Jahre, den Spiess umzudrehen. Bei ihr sollte der Mann einen «masochistischen, orgastischen Vampirtod» geniessen – und die Frau sich erfolgreich wehren. So erzählte es die heute 85-jährige Rothman 2008 einem Filmstudenten, der sie zu ihrem unterdessen kultverdächtigen Low-Budgetfilm The Velvet Vampire (1971) befragte, einem Horrorfilm im Exploitation-Stil, den sie im Auftrag des legendären B-Movie-Produzenten und Talentjägers Roger Corman drehte.
Eine Vampirfrau aus dem 19. Jahrhundert verführt darin ein junges Paar, das aus einem zeitgenössischen Softporno entlaufen scheint. Heute ist kaum noch nachvollziehbar, warum Rothmans offensichtliches filmisches Talent wie auch ihr ironischer Blick – sowohl auf die Geschlechterkonventionen als auch auf die Gepflogenheiten des Genres – ihr keine Hollywoodkarriere ermöglicht hatten. Entmutigt gab sie das Filmemachen nach mehreren Anläufen schliesslich auf. Es dauerte noch Jahr-zehnte, bis Frauen im Regiestuhl selbstverständlicher wurden, gerade auch in der männlich geprägten Domäne des Horrorfilms.

Mit einem schielenden Blick
Zehn Jahre nach The Velvet Vampire schrieb die lesbische Aktivistin und Krimiautorin Rita Mae Brown das Skript zu Slumber Party Massacre (1982), einem Slasherfilm im Uni-Milieu. Brown wollte das Genre mit Überzeichnungen parodieren. Ein Psychokiller erledigt mit seinem riesigen Akkubohrer eine weibliche Pyjamapartygesellschaft und auch ein paar Männer. Regie führte Amy Holden Jones, die heute für die erfolgreiche Spitalserie The Resident verantwortlich ist. Nebst ein paar originell besetzten Nebenrollen – das erste Opfer ist eine zupackende Elektrikerin – hält sich Jones an die Genreregeln, denn auch Slumber Party Massacre ist eine Produktion von Roger Corman: Das «final girl» überlebt, weil es noch Jungfrau ist; der tot geglaubte Killer kehrt ein letztes Mal zurück; das von Eltern und Polizei verkörperte Gesetz ist abwesend. Auch viele weitere traditionelle Horroringredienzien sind in The Velvet Vampire und in Slumber Party Massacre anzitiert (ist es wirklich nur zitiert, nicht eher schon zitiert?): Küsse als Bisse; durchbohrte und aufgeschlitzte Körper; die Unsicherheit, ob das Tote noch Leben in sich trägt – oder die Lebendigen eigentlich bereits tot sind.
Diese frühen Horrorfilmregisseurinnen nähern sich den Konventionen und Codes des Genres quasi mit einem «schielenden Blick» (ein Sinnbild der Literaturwissenschaftlerin Sigrid Weigel für die Anstrengungen weiblicher Schreibpraxis): auf dem einen Auge regeltreu, mit dem anderen auf Ausbruch und Umcodierung schielend. Bereits in der Schauerliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts finden sich mehrere stilbildende Autorinnen: die Gothic Scream-Queen Ann Radcliffe etwa – und natürlich Mary Shelley mit «Frankenstein». Was Schauerliteratur und Horrorfilm ebenfalls verbindet: Das Genre ist zwar populär, wird aber lange wenig ernst genommen und in die Schmuddelecke gestellt.
Trotzdem begann auch eine der wichtigsten US-Filmregisseurinnen ihre Karriere mit einem Vampir-film. Kathryn Bigelows Near Dark (1987) erfuhr einen ähnlichen Empfang wie The Velvet Vampire: kein Kassenerfolg, kaum kritische Auseinandersetzung. Erst später wuchsen Fan-gemeinde und Anerkennung – und ebneten so auch langsam den Weg für eine nächste Generation von Filmemacherinnen. Bei Bigelow endet die vampirische Ekstase mit einer Blutwäsche und der Rückführung in die sesshafte Kleinfamilie, da sich der frisch gebissene Mann nicht auf eine Rolle als gesellschaftlicher Outcast einlassen mag. Hier blitzt bissige feministische Kritik auf – und eine weibliche Affinität zur blutigen, aber auch lustvollen Grenze zwischen Leben und Tod, die dem Mann abgeht. Sind vielleicht Frauen aufgrund ihrer Körper, ihrer Sexualität, ihrer Fähigkeit, Kinder zu gebären, auch auf eine ganz pragmatische Weise näher dran an dieser existenziellen Schwelle, um die so viele Horrorfilme kreisen?
Man erkennt diese Nähe und den unsentimentalen Blick auch in den grossen Horrorfilmen der Jahr-tausendwende von Antonia Bird, Mary Harron und Claire Denis. In Birds Ravenous (1999) werden US-Siedler zu Kannibalen und untoten Wiedergängern. Bird leuchtet hier die toxische Männlichkeit aus, die in den Männerbünden an der unwirtlichen Frontier in Gewalt explodiert. Und sie hat in diese beinahe frauenlose Welt eine weibliche Figur als Alter Ego eingebaut, das zunehmend fassungslos auf den Blutrausch der Männer schaut.
Claire Denis’ Trouble Every Day (2001) verschränkt – wie Bigelow – vampirische Blutlust mit sexueller Entgrenzung und einer Existenz ausserhalb gesellschaftlicher Normen. Innerhalb der Normen der Filmindustrie nehmen die Horrorfilmerinnen nun langsam Fahrt auf. Die Arthouse-Regisseurin Denis wird mit Trouble Every Day nach Cannes eingeladen. Und auch die Filmkritik reagiert: auf Mary Harrons geniale feministisch-satirische Zuspitzung der brutal misogynen Welt des Wallstreetianers Patrick Bateman in ihrer Verfilmung von Bret Easton Ellis’ Zeitgeistroman American Psycho (2000) etwa mit Lobeshymnen, aber auch mit Unverständnis angesichts der dargestellten Gewalt. Dabei legt Harron nur die blutige Wahrheit hinter den auf Batemans Visitenkarte vermerkten «mergers and acquisitions» offen: «murders and executions».

Endlich Anerkennung
Nochmals fünfzehn Jahre später setzt mit Jennifer Kents The Babadook (2014) und Julia Ducournaus Spielfilmdebüt Grave (2016) ein wahrer Boom von Frauen-Horrorfilmen ein. In The Babadook werden die Trauer und Verzweiflung einer alleinerziehenden Mutter als psychologisch ausgefeilte Horrorgeschichte erzählt. Ein toter Mann sucht Frau und Sohn als unheimliches Kinderbuchmonster heim. Man kann dies auch als selbstbewusste «Gegendarstellung» zu Barbara Creeds Studie lesen, die nachzeichnet, wie Horrorfilme von Männern dazu tendieren, weibliche Körper zum «monströsen Weiblichen» zu zerformen.
Horrorfilme von Frauen bedienen dieses Klischee kaum. Auch nicht Grave, eine Hommage an Ravenous: Zwei Schwestern, Studentinnen der Veterinärmedizin, ergehen sich in einer Orgie der Fleischeslust, die auch ein Ausbruch aus alten Geschlechterrollen ist. Damit sind die Horrorfilmerinnen angekommen im Olymp von Cannes, Grave holt den Filmkritiker:nnenpreis in der Sektion Quinzaine des Réalisateurs. Fünf Jahre später gewinnt Ducournau mit Titane sogar die Palme d’Or.
Andere Regisseurinnen nutzen das Genre für befreiende Rachefeldzüge – wie etwa Coralie Fargeat in Revenge (2017) –, aber auch, um Gesellschaftskritik zu üben. In Vuelven (2017) etwa spiegelt Issa Lopéz die traurige Realität mexikanischer Strassenkinder an Schreckensfantasien im Stil des magischen Realismus. Und in Candyman (2021) inszeniert Nia DaCosta – unterstützt von Produzent Jordan Peele (Get Out) – eine Konfrontation mit rassistischen Verbrechen der Vergangenheit: DaCosta beschwört in ihrer Fortsetzung des gleichnamigen Films von 1992 ihre eigene Version des Candyman als blindwütenden Rächer ungesühnter Gewalt herauf. Stephanie Rothmans Enkelinnen sitzen heute endlich ohne schielenden Blick im Regiestuhl – und besetzen das Horrorgenre selbstbewusst, vielgestaltig und nach ihren eigenen Regeln.
Daniela Janser

Daniela Janser ist Kulturredaktorin bei der Wochenzeitung WOZ und lebt in Zürich. Sie ist promovierte Amerikanistin und Kulturwissenschaftlerin.