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Cinema Seen Through the Eyes of: Joanna Hogg

Joanna Hogg macht Filme, aber keine Kompromisse. International wird die gebürtige Londonerin seit ihrem Debüt Unrelated (2005) als eine der eigenwilligsten Vertreterinnen des britischen Gegenwartskinos gehandelt. Mit ihrem zweiteiligen, autobiografisch geprägten Filmprojekt The Souvenir ist sie derzeit eine der aufregendsten weiblichen Regiestimmen überhaupt.
Für unser neues Filmpodium-Format haben wir Hogg gebeten, zehn Werke auszuwählen, die sie als Künstlerin beeinflusst haben oder für sie zukunftsweisend und visionär sind. Wie sie bei der Zusammenstellung vorgegangen ist, was ihr Ausgangspunkt war und welche Erinnerungen sie mit den einzelnen Filmen verbindet, erzählt sie uns exklusiv im Interview. Das Programm findet in Kooperation mit dem Xenix statt, das der Ausnahmeregisseurin zeitgleich eine Retrospektive widmet. Joanna Hogg wird in beiden Kinos zu Gast sein.
Joanna Hogg, wann haben Sie begonnen bewusst Filme zu schauen, nicht nur zu Unterhaltungszwecken?
1979. Damals arbeitete ich als Assistentin bei einem Londoner Fotografen und habe alle möglichen Filme geschaut. Es war eine goldene Ära für das Programmkino, und aus meiner Leidenschaft für die Fotografie entwickelte sich bald der Wunsch, Filmemacherin zu werden. Bis zu dem Zeitpunkt war ich eine reine Filmliebhaberin, die gerne ins Kino ging, aber eher als Fan, ein Teenager ohne Orientierung sozusagen. Ich war fasziniert von Hollywood und liebte vor allem Musicals. Das änderte sich schlagartig, als ich erkannte, dass ich lernen wollte, selber Filme zu machen.
Ihre ersten beiden Souvenir-Filme handeln von der Zeit, als Sie in den frühen achtziger Jahren Ihr Filmstudium in London absolvierten. Gibt es Titel in Ihrer Auswahl, die Sie damals beeinflusst haben?
Ich habe es mir im Vorfeld zu The Souvenir ganz klar zur Aufgabe gemacht, mich in die Filme zu vertiefen, die ich als Studentin geliebt habe. Ich habe mich von diesen Filmen leiten und inspirieren lassen. Einige habe ich erneut angeschaut, aber viele waren mir auch noch in guter Erinnerung. Sie sind Teil meiner Psyche. Und ehrlich gesagt gehören fast alle Filme auf meiner Liste dazu. Einer der ersten Titel, die mir in den Sinn kamen, ist Ulrike Ottingers Bildnis einer Trinkerin. Mich hat ihre Art des Filmemachens, die viele Ideen aufgreift und aus verschiedenen Medien schöpft, stets begeistert. Ausserdem hat der Film etwas Ungeordnetes und Experimentelles, das mir immer imponierte. So wie Derek Jarmans Filme, die mich bis heute auf eine ähnliche Art und Weise faszinieren, hat auch Ottinger bereits früh in ihrer Karriere ihr eigenes Kino entwickelt.
Wenn man an Ihre eigenen Werke denkt, ist es spannend, so viele Musicals in Ihrer Auswahl zu entdecken.
Ich bin selbst etwas überrascht darüber. Aber eigentlich spielt Musik in allen Filmen, die ich ausgewählt habe, eine Rolle. Vor allem der Rhythmus ist in Werken wie Playtime, Toute une nuit und 2001 entscheidend. Dass das Musikalische in meinen frühen Filmen nicht so ausgeprägt ist, liegt daran, dass ich nach meinem Abschlussfilm Caprice diesbezüglich etwas entmutigt war. Darin hatte ich viele meiner Vorlieben im Kino vereint, auch das Musikalische. Aber das Ergebnis wurde den Erwartungen meiner Tutoren nicht gerecht. Das hat mir damals sehr zugesetzt. Ich hatte das Gefühl, als ernsthafte Filmemacherin gescheitert zu sein. Danach habe ich meinen Halt verloren. Ich habe dann zunächst eine Zeit lang fürs Fernsehen gedreht, um zu lernen, realistischer zu arbeiten, weshalb meine ersten beiden Spielfilme auch eher diesem Stil verpflichtet sind. Aber ich habe das Gefühl, dass ich jetzt wieder Filme drehe, in denen ich mich auch selbst mehr wiederfinde.
Was verbindet Sie insbesondere mit All That Jazz?
Es freut mich, dass Sie den Film ansprechen, denn er ist so speziell – ein klassisches Musical, das gleichzeitig auf interessante Weise mit der Biografie von Bob Fosse verwoben ist. Es ist ein sehr persönlicher Film, so wie übrigens auch Bildnis einer Trinkerin. Ich glaube, das ist auch ein entscheidender Punkt im Hinblick auf meine Auswahl insgesamt. Die Filme, die mich am meisten beindrucken, sind immer extrem eng mit den Menschen verbunden, die dahinterstehen. All That Jazz ist ungewöhnlich komplex für ein Musical und extrem ehrlich in der Schilderung eines Lebens. Es ist erstaunlich, wie unterhaltsam der Film ist, auch wenn es um den Tod geht. Fosse vereint darin grossartig das Künstliche mit dem Emotionalen. Der Film wirkt wie eine Operation am offenen Herzen – und das ist ja auch Teil der Geschichte.
I Know Where I’m Going ist im Hinblick auf das Gesamtwerk von Powell und Pressburger eher eine ungewöhnliche Wahl. Was hat es damit auf sich?
Ich wurde von einem Mann an die Filme von Powell und Pressburger herangeführt, mit dem ich Anfang der 1980er-Jahre in einer Beziehung lebte. Seine Begeisterung für ihr Kino hat mich komplett überwältigt, aber ich habe sie zunächst vor allem durch seine Augen gesehen. Ich erinnere mich noch daran, dass ich zu Beginn meines Studiums eine Szene gedreht habe, die von I Know Where I’m Going inspiriert war. Meine Tutoren haben das nicht verstanden, weil sie spürten, dass ich Ideen nachging, die nicht meiner eigenen Vorstellung entsprachen. Meine Begeisterung für Powell und Pressburger rührt aus dieser Zeit, aber erst Jahre später habe ich ihre Werke aus meiner eigenen Perspektive für mich entdeckt.
Chantal Akerman ist neben Ulrike Ottinger die einzige Regisseurin. Warum?
Ich habe zum ersten Mal während des Studiums einen Film von ihr gesehen, das Musical Golden Eighties. Aber ihr Gesamtwerk erschloss sich mir erst später. Gemeinsam mit dem Filmemacher Adam Roberts zeigten wir eine Retrospektive ihrer Filme am Institute of Contemporary Arts in London. Über zwei Jahre verteilt haben wir jeden ihrer Filme vorgestellt. Es war eine wunderbare Gelegenheit, komplett in ihr Werk einzutauchen. Ihr Feinsinn hat mich immer beeindruckt, und Toute une nuit ist in dieser Hinsicht besonders. Akerman kommt mit wenig Dialog aus, der Film ist eine Choreografie von mehreren Begegnungen. Die Sensibilität, mit der sie den Rhythmus des alltäglichen Lebens betont, ohne dass es aufdringlich wirkt, ist famos.
Playtime wird oft als Jacques Tatis Meisterwerk gehandelt. Würden Sie dem zustimmen?
Ja, mit Tati bin ich bereits seit meiner Kindheit eng verbunden. Mein Vater liebte seine Filme. Er trug sogar Slipper aus weichem Leder, die wir Kinder Monsieur-Hulot-Schuhe nannten. Erst als ich die Filme später wieder einmal sah, fiel mir Playtime als das experimentellste und ambitionierteste seiner Werke auf. Auf der einen Seite ist da der Humor, mit dem er das moderne Leben betrachtet. Gleichzeitig setzt er sich auch sehr ernsthaft mit dem Thema auseinander und zeigt, wie sehr die Menschen sich immer mehr voneinander entfernen. Das wird einem erst richtig bewusst, wenn man den Film heute sieht. Und man muss sich nur seine Sets anschauen. Es stimmt mich manchmal ziemlich traurig. Vielleicht kann man mit digitalen Effekten heute Ähnliches erreichen, aber eine echte Welt zu schaffen, so wie Tati damals, das ist heute gar nicht mehr möglich.
Bei Edward Yang haben Sie sich für Taipei Story entschieden, einen wunderschönen, mitunter sehr traurigen Film.
Taipei Story steht hier repräsentativ für sein Werk insgesamt, weil ich ihn für einen ausserordentlichen Filmemacher halte. Von circa zehn Jahren sah ich im Kino zum ersten Mal Yi Yi und verliebte mich sofort in den Film. Ich hätte mich auch gut dafür entscheiden können, aber manchmal ist es schön, einem Film Aufmerksamkeit zu schenken, der weniger bekannt ist. Ich bin immer erstaunt über Yangs Mitgefühl für seine Figuren, und ich sehe ihn als Inspiration für mich selbst, im Umgang mit meinen eigenen Geschichten. All diese Themen, die Yang in seinen Filmen untersucht – die Modernisierung der Stadt, die Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft –, sind besonders wertvoll für mich in Bezug auf ein neues Projekt, an dem ich gerade arbeite.
Auch 2001: A Space Odyssey hat es in die engere Wahl geschafft. Erinnern Sie sich noch daran, als Sie den Film zum ersten Mal in Kino gesehen haben?
Ziemlich genau sogar, denn ich habe den Film erst vor drei Wochen zum ersten Mal überhaupt gesehen. Ich war mir der riesigen Lücke in meiner Filmerfahrung natürlich jahrelang bewusst. Aber es war mir wichtig, einen Film wie diesen auf der grossen Leinwand zu sehen, und so habe ich neulich endlich die Chance ergriffen – was für ein Genuss. Ich war überrascht, wie modern der Film selbst heute wirkt. Die Bilder strahlten förmlich von der Leinwand, und ich hatte das Gefühl, die Zukunft des Kinos direkt vor meinen Augen zu sehen. Als wäre da ein Regisseur am Werk, dem im Moment der Entstehung seines Films nicht bewusst ist, dass er gerade eine neue Form des Sehens schafft. Dass mich der Film so sehr überrumpeln würde, hätte ich auch nicht gedacht.
Das Gespräch führte Pamela Jahn.