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James Mason

Weil seine Schurken so schön schillerten, nannte man James Mason gern «The Man They Loved to Hate». Das gilt für seine frühen Rollen in seiner Heimat Grossbritannien ebenso wie für die, die er in Hollywood spielte. Dass sein Spektrum dennoch eine grosse Breite aufweist, zeigt die Filmreihe, die das Filmpodium dem Schauspieler widmet. Wenn man in Interviews den alten Titanen der britischen Schauspielkunst – John Gielgud, Laurence Olivier oder eben auch James Mason (1909–1984) – mit der Frage nach dem amerikanischen «method acting» kam, war da immer so ein höfliches Sich-Winden; so will es einem scheinen, jedenfalls auf YouTube, dieser segensreichen Einrichtung eines archivarischen Eklektizismus. In den Augen glitzert ein nachsichtiger Sarkasmus, um die Münder kräuselt sich eine diskrete Mokanz. Einer wie Laurence Olivier zum Beispiel gab dann so manierlich wie möglich zu verstehen, dass er Lee Strasberg, den Meister der «Methode», für einen ziemlich wirren Erweckungsprediger des naturalistischen Sich-selber-Seins hielt (er war dabei gewesen, als Pamela Strasberg, die Meistersfrau, Marylin Monroe riet, zur Herstellung eines erotischen Fluidums an ihr Gefühl für Coca-Cola zu denken).
Erwischte man James Mason mit der Frage 1954 nach A Star Is Born, 1962 nach Lolita oder später noch in der Altersmilde seiner Erinnerungen, wurde er ein wenig schmallippig und «very British» vor dem Abgrund zwischen Kunst und Kunst. Er sprach von Judy Garland, die es zerrieben hatte im höchst gefährlichen Gemenge von «komödiantischer Genialität» (von ihren dramatischen Begabungen hielt er weniger), studioärztlich verordneter Tablettensucht und der Methode, das Spiel mit dem Sein zu verwechseln. Er sprach von Anne Bancroft, diesem wunderbaren, konzentrierten Talent, das noch wunderbarer geworden sei, wenn das Methodische sich nicht bemerkbar gemacht habe (sie trafen sich unter anderem in Franco Zefirellis pompösem Gesù di Nazareth, 1977). Und man versteht: James Masons Abscheu vor egozentrischen Posen, die sich Methode nannten, war tief und rein und streng im Urteil.

Der Rollenbauer
Schauspielerei, richtig begriffen, körperlich und intellektuell, das war für ihn Dienst an einem Werk, nicht mönchisch, sondern lustvoll, aber doch: Dienst. Er frage, sagte er oft, weniger nach seiner Figur und was so ein Film für sie tun könne. Er ordnete einer Gesamtschau unter, was er ihr nach bestem Wissen und Können an Individualität abgewann, Melodienbögen, Charakterfacetten, Gedankenlogik. Er «baute» Rollen, könnte man sagen, die in ihren Harmonien und Dissonanzen der dramatischen Statik nützten; und da passt es ganz gut, dass er vor seiner Karriere nicht daran gedacht hatte, Schauspieler zu werden. Er hatte in Cambridge Architektur studiert und dann einfach nichts zu bauen gehabt.
Das Theater also. Und dann der Film. Ein wenig Blut geleckt hatte Mason im Rahmen des beliebten Laientheaterwesens an englischen Universitäten, und der Weg ans Old Vic in London, wo er mit Charles Laughton spielte (oder wenigstens in seiner Nähe), scheint nicht besonders steinig gewesen zu sein. Es ist nichts zu berichten von einem Elend der frühen Jahre. Zum Kino im Übrigen pflegte er eine Liebesbeziehung seit der Jugend, die leichte Verachtung eines jungen Olivier für das «kuriose kleine Medium, das grosse Schauspielerei nicht aushält», war ihm ganz und gar fremd. Die sehr rührige britische Filmförderung half, und item, 1935 debütierte ein Filmschauspieler.

Ein Schurke geht nach Hollywood
Sein Fach, wenn es denn eines gab, war der schillernde Schurke. Jener, der einem Publikum nicht gab, was es wollte, sondern es verführte, das zu wollen, was er gab, contre cœur. Der flamboyante Mörder, der elegante Sadist standen ihm gut, er brachte es zu einer Meisterschaft der widersprüchlichen Verkommenheit insbesondere in den Produktionen der Firma Gainsborough, diesen heftig kostümierten Maskenspielen von Verbrechen und Strafe. Die Geschichten und Zeiten, die da melodramatisch verwirbelt wurden, mögen schon damals in den Vierzigern klischiert gewesen sein. Er war es nie: nicht als der Landadelige in The Man in Grey (1943), der Mord mit Mord rächt; nicht im tadellosen Frack jenes Manipulators einer jungen Pianistin in The Seventh Veil (1945).
Er kam mit dem Unmoralischen seiner Figuren davon. Vielleicht lag es an der Stimme, die in Masons Filmen ihren Zauber webte. Am Tonfall, in dem er Worte spuckte wie Pfeile, dorthin, wo’s wehtat, sie tröpfelte wie Gift, sanft und dosiert, oder langsam fallen liess wie Eiswürfel, hart und klar und klirrend. Und das musste einer ja erst einmal zuwege bringen durch seine Rollenwahl gegen den moralischen Strich: dass er als Englands Lieblingsschänder von Seelen und Körpern von der Leserschaft der «Daily Mail» zum populärsten Schauspieler des Landes gewählt wurde; 1946 war das. (Aber es soll jetzt, zumindest in Klammern, auch dies gesagt sein: Grässliche Frauenbilder sind auszuhalten in manchen Mason-Filmen, nicht nur in der «Gainsborough Gothic», auch später in der «amerikanischen» Zeit des internationalen Ruhms.)
Es lockte Amerika: Hollywood und die wahre, die globale Popularität. Er sei, liest man, gewarnt worden. Er werde schrecklichen Schaden an seiner Intelligenz nehmen. Und als er dann in Henry Hathaways The Desert Fox (1951) den Feldmarschall Rommel spielte (er, der sich während des Kriegs als Militärdienstverweigerer hatte registrieren lassen) oder den Grafen Rupert von Hentzau in The Prisoner of Zenda (1952), hätten ein paar berühmte Kollegen zu Hause sich gesorgt, wohin es den «armen Jimmy Mason», der doch nicht mehr der Jüngste sei, wohl treiben werde. Er aber stand dazu, ein internationaler Star werden zu wollen, und das wurde er ja, wenn auch nicht ganz so, wie er sich das vorgestellt hatte. Nicht als der selbstverständliche «leading man», eher als der «sinistere Fremdling». Ein wenig hat das an ihm genagt, er sei, sagte er, zum Bereuen nicht gemacht, aber einmal – da wohnte er schon lang am Genfersee – brach es aus ihm heraus. Ja, man könne es wohl so ausdrücken, «I screwed up my career by going to Hollywood».
Das war jedoch eine Klage auf hohem filmhistorischen Niveau. Seine charismatische Beredsamkeit überstand auch den Unsinn, den er sich zumutete. Und dieses Filmpodium-Programm, handverlesen aus über hundert Filmen, wird das Wunder schauspielerischer Grösse zeigen: den düsteren, traumverlorenen Odd Man Out von Carol Reed (1947), seinen Lieblingsfilm. Wie James Mason sich in den Wahnsinn einer Sucht delirierte in Bigger Than Life (Nicholas Ray, 1956). Und A Star Is Born natürlich und jene Szene, worin er in tragischer, fast ballettöser Trunkenheit eine Oscar-Party sprengt.
1962 zog er in die Schweiz, er habe die europäische Luft vermisst in jeder Hinsicht, deutete er an (und tatsächlich ist er auch ein Teil des Schweizer Films geworden in Alexandre, dem Spielfilmdebüt von Jean-François Amiguet, 1983; er hatte ein Herz fürs Unabhängige). Am 27. Juli 1984 starb James Mason in Lausanne. Erst 16 Jahre später, nach einem bizarren Rechtsstreit um Erbe und Asche, wurde seine Urne auf dem Friedhof von Corsier-sur-Vevey beigesetzt. Dort liegt er nun ganz in der Nähe von Charlie Chaplin, den er gut kannte, Nachbar im Tod wie im Leben.

Christoph Schneider

Christoph Schneider, von Hause aus Theaterwissenschaftler, schrieb lange Jahre im «Tages-Anzeiger», im «Züritipp» und im «Bund» über Film, wobei er sich für Schweizer Filme ebenso begeistern kann wie für Hollywood. 2015 wurde er für seinen Nachruf auf den Filmemacher Peter Liechti mit dem Prix Pathé in der Kategorie «Printmedien» ausgezeichnet.