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Reedition: «Die Reise nach Tokio»

Yasijiro Ozus Spätwerk Die Reise nach Tokio gilt nicht nur als Höhepunkt in seinem Schaffen, sondern auch als Meilenstein der Filmgeschichte. Ozu selbst hat anerkannt, dass diese traurige Fabel über den Zerfall einer Familie von Leo McCareys Make Way for Tomorrow inspiriert war. Ein altes Ehepaar bricht in einer Provinzstadt auf, um seine längst erwachsenen Kinder in Tokio zu besuchen. Nach einigen Tagen fahren die Eltern nach Hause zurück, mit der Erkenntnis, dass ihre Kinder ganz anders leben, als sie sich das vorgestellt haben. Die unterwegs erkrankte Mutter stirbt kurz nach der Rückkehr von der eher enttäuschenden Reise – die ganze Familie versammelt sich zur Beerdigung noch einmal zu Hause.
«Die Reise nach Tokio ist ein Meisterwerk, in dem Ozu seine gesamte Filmkunst voll entfaltet und eine eigene ästhetische Welt geschaffen hat. (…) In diesem Film illustriert Ozu sehr gut die traditionellen japanischen Familienstrukturen, die durch die zunehmende Modernisierung der Gesellschaft zerstört werden. In dem Masse, wie die jüngere Generation sich zu Kleinfamilien verselbständigt, verliert der Sippenverband immer mehr an Bedeutung. ‹So etwas kommt fast in jeder Familie vor, vielleicht weil sie gerade durch die Blutsverwandtschaft zu sehr an die Liebe untereinander gewöhnt sind. In dieser Geschichte sind die Eltern von ihren eigenen Kindern enttäuscht und fühlen sich verlassen. Das Eltern-Kind-Verhältnis nüchtern darzustellen war mein einziges Anliegen›, so Ozu.» (Keiko Yamane, Das japanische Kino, C. J. Bucher, 1985)
«Da der Film keinerlei ‹Action› aufweist, ist er auf einer ersten Ebene völlig undramatisch. Dialog reiht sich an Dialog, alltägliche Handlung an alltägliche Handlung. Eine Dramatisierung im konventionellen Sinn würde völlig falsche Akzente setzen, müsste zwangsläufig Nebensächliches aus Nebensächlichem hervorheben und verpasste damit die Hauptsache: die Dramatik des Lebens im Kleinen und Gewöhnlichen. Ozus Technik ist da viel angepasster. Die bohrende Ruhe besticht. Die gründliche, aufmerksame Betrachtung lässt unscheinbarste Details bewusst wahrnehmen. Stil und Thema verschmelzen völlig.» (Walt R. Vian, Programm Filmpodium, Oktober/November 2008)