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Reedition: Le salaire de la peur

1953 schuf Henri-Georges Clouzot mit Le salaire de la peur einen einmalig schwarzen Thriller, der auch als existenzialistische Parabel Kultcharakter erlangt hat. Einer der grössten Bewunderer des Films, William Friedkin, drehte 1977 ein Remake bzw. eine Hommage, Sorcerer. Unsere Programmierung erlaubt einen Vergleich mit dem Original, das in restaurierter Form zu sehen ist. «Hier ist ein Film, der allein dasteht als die reinste Studie in Sachen filmische Spannung, die je in Zelluloid gehauen wurde, ein Kunstwerk, das so elementar nervenzerfetzend ist, dass man Angst hat, ein deplatziertes Flüstern aus dem Publikum könnte die Leinwand explodieren lassen. So besessen Clouzot in seiner Aufmerksamkeit für das erzählerische Rückgrat der Geschichte auch sein mag – vier Männer fahren zwei Lastwagen mit Nitroglyzerin dreihundert Meilen durch eine Höllenlandschaft voller Schlaglöcher, verdorrter Fauna, steinübersäter Pässe, Haarnadelkurven und baufälliger Brücken auf bröselnden Balken, um einen Ölbrand zu löschen, der auf der anderen Seite des Berges tobt –, so grimmig ist er auch in seinem Kommentar über den wirtschaftlichen Imperialismus und die amerikanische Ausbeutung fremder Kulturen, die Schändung der Erde und den lächerlichen Irrsinn des Menschen. Die damalige Kritik klagte, Le salaire de la peur sei aggressiv antiamerikanisch (das Magazin ‹Time› nannte ihn 1955 ‹gewiss einen der bösesten Filme, die je gemacht wurden›), aber dabei sah man den verwüsteten Wald vor lauter kranker Bäume nicht. Wie der Filmemacher Karel Reisz 1991 in einem Artikel in ‹Film Comment› erklärte, ist der Film zwar ‹anti-amerikanisch›, aber nur insofern als er ‹wahllos und unparteiisch anti-alles ist›.
Ich gehe mit Reisz einig, was das Unparteiische angeht – Clouzots Kamera könnte ebenso gut das Auge einer Echse sein, so wenig Gefühl schenkt sie den Menschen, die in ihr Blickfeld treten –, doch der Vorwurf, ‹anti-alles› zu sein, mag zwar oberflächlich stimmen, lässt jedoch einen der Grundsätze des cineastischen Humanismus ausser Acht, wie ihn unter anderen Clouzot, John Huston und Stanley Kubrick praktizierten: Indem man jeden Anflug von Subjektivität aus dem Blickwinkel eliminiert, entfernt man jeden Makel von Sentimentalität. Diese Auslöschung von Gefühligkeit verhindert nicht die Empathie. Vielmehr werden wir als Zuschauer aufgrund dieser Leere gezwungen zu entscheiden, wie es um unsere Fähigkeit zur Empathie steht. (…)
Ein Film, in dem die letzten Worte einer Figur ‹Da ist nichts!› lauten, wird natürlich angegriffen (wie dieser Film seinerzeit und heute noch) als zugleich menschenfeindlich und atheistisch, aber ich hatte nie das Gefühl, dass Clouzot sagt, ‹So ist die Welt›, sondern dass er meint: ‹So ist die Welt, die wir erschaffen haben.› (Eine Vision, die verurteilt, was der Mensch ist, aus Verzweiflung darüber, was er sein könnte, ist in perverser Weise eine hoffnungsvolle.) Schliesslich sind wir es, die geholfen haben, eine Welt zu erschaffen, in welcher Menschen alles riskieren, aus dem schieren Zwang heraus, dies zu tun, willens sind, alles zu verlieren, weil es ihre sich selbst widerlegenden Interpretationen von ‹Schicksal› bestätigt, alles zu zerstören, weil es nun mal zerstörbar ist. Diese Menschen sind, wie man unweigerlich mit einem Gefühl von tragischer Verschwendung empfinden muss, Kinder – sie quälen Käfer, während sie auf den Händler warten, der Köstlichkeiten feilbietet, deren Kauf sie sich niemals werden leisten können.» (Dennis Lehane, criterion.com, 21.4.2009)