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Robert Mitchum zum 100. Geburtstag

In diesem Jahr wäre Robert Mitchum 100 Jahre alt geworden; seine Hollywoodkarriere umspannt deren 54. Unsere Hommage an den Anti-Star konzentriert sich auf 16 sehr unterschiedliche Rollen aus seinen fruchtbarsten drei Dekaden, in denen er unter anderem mit Regiegrössen wie Raoul Walsh, Otto Preminger, John Huston und Howard Hawks zusammenarbeitete. Robert Mitchum war sein eigener schlimmster Feind. Selbstbeweihräucherung war ihm zuwider; viel lieber machte er sich und seine Kunst noch mehr herunter, als es andere taten. Er nannte sich «die grösste Hure von Hollywood» und behauptete, er würde auf dem Set bloss einstempeln und später wieder ausstempeln. Er habe nur zwei Schauspielstile drauf: mit Pferd und ohne Pferd, und in 40 seiner gut 130 Filme habe er den gleichen Regenmantel getragen. Er war berüchtigt dafür, dass er in Drehbüchern bei manchen Szenen am Rand «NAR» notierte – «no acting required».
So trug er selbst viel bei zu seinem lausigen Ruf eines Saufbolds und Kiffkopfs (was er war), Tunichtguts und Schwerenöters (häufig ebenfalls) und desinteressierten Penners (viel weniger, als man meinte). Dass er Starruhm und Schauspielerei nicht überschätzte, lag an seiner harten Kindheit und Jugend, aufgrund derer er das Filmgeschäft nicht ganz so ernst nehmen konnte wie anderes im Leben.
Von seinem drahtigen, streitlustigen Vater mit irischen, schottischen und indianischen Wurzeln, der 1919 bei einem Unfall starb, und seinem Grossvater mütterlicherseits, der ein Trumm von Norweger namens Gunderson gewesen war, erbte er ein aufbrausendes Temperament und eine stramme Physis. Früh haute er von zu Hause ab, durchstreifte den Osten und Süden der USA auf Güterzügen und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch, wobei er auch mit dem Gesetz in Konflikt kam. Als er in den 30er-Jahren Kalifornien erreichte, versuchte er sich unter anderem als Amateurboxer (was ihm eine gebrochene Nase eintrug) und machte bei einer Laientheatertruppe erste Schauspielerfahrungen. Um seine Frau Dorothy, die er 1940 heiratete, und seinen ersten Sohn James durchzubringen, malochte Mitchum in Fabriken.

Ikone der Coolness
Den Einstieg ins Filmgeschäft verschaffte ihm 1942 ein Agent, den er beim Theater kennengelernt hatte. Bald wirkte Mitchum in sieben Western mit William Boyd als Hopalong Cassidy mit – die erste Rolle bekam er als Ersatzmann für einen tödlich verunglückten Nebendarsteller, dessen Blut offenbar noch im Cowboyhut klebte, den der Neuling aufsetzen musste. Sein eigenwilliges Gesicht mit der gebrochenen Nase und dem schläfrigen und zugleich sinnlichen Blick, gepaart mit seinem wuchtigen Körper, führte dazu, dass Mitchum kaum als klassischer «leading man» oder strahlender Held besetzt wurde. Anders als Zeitgenossen wie Gary Cooper oder Cary Grant spielte er fast immer zwiespältige Figuren, Antihelden und attraktive Schurken. In seiner Kritik zu Out of the Past (1947), der eben in unserer Jacques-Tourneur-Retrospektive zu sehen war, schrieb Roger Ebert 2004, dass Mitchum «mit seinem müden Blick und seiner lakonischen Stimme, seiner schieren Präsenz eines gewalttätigen Mannes, der sich in Gleichgültigkeit hüllt, ein archetypischer Noir-Darsteller war». Tatsächlich sind Mitchums Figuren trotz seiner potenziellen Macho-Aura oft eher passiv, sogenannte «patsies», die (auch) von Femmes fatales manipuliert werden und mit mehr oder weniger offenen Augen ins Verderben laufen. Nicht umsonst betitelte Lee Server seine Mitchum-Biografie mit dem Satz «Baby, I don’t care», mit dem der Held in Out of the Past signalisiert, dass ihm ebenso klar wie egal ist, wie ihm mitgespielt wird. Bei Vorbildern wie William Boyd und Spencer Tracy (neben dem er 1944 in Mervyn LeRoys Fliegerdrama Thirty Seconds Over Tokyo aufgetreten war) hatte Mitchum zudem gelernt, dass die Kamera die leiseste mimische Regung erkennt, und seinerseits einen mediengerechten minimalistischen Schauspielstil entwickelt. Die Verbindung dieser Elemente erzeugte jenes Image von Coolness, das Mitchum zeitlebens anhaftete. Allerdings war er offenbar auch privat ausserstande, Emotionen – vor allem positive – zu zeigen. Was zuerst kam, die coole Pose oder die Unfähigkeit zur Gefühlsäusserung, ist wohl eine Huhn-oder-Ei-Frage.

Engagement und Vielseitigkeit
Freilich ist der oft gehörte Vorwurf, Mitchum sei durch viele Rollen «geschlafwandelt», nicht ganz von der Hand zu weisen; manche Filme waren zweitklassig und interessierten ihn nicht. Fand er aber an einer Figur, einem Projekt und/oder einem Regisseur Gefallen, gab er alles. Bei John Hustons Kriegsabenteuer Heaven Knows, Mr. Allison (1957) etwa musste er auf den Ellbogen durchs Gras robben. Nach dem dritten oder vierten Take richtete er sich auf, blutüberströmt: Er war durch Nesseln gekrochen. Als Huston ihn fragte, wieso er das getan habe, erwiderte Mitchum nur: «Weil du das verlangt hast.»
In den 50er-Jahren gründete er die Produktionsgesellschaft DRM (seinen Initialen setzte er diejenige seiner duldsamen Frau Dorothy voran) und stellte ein paar Lieblingsprojekte auf die Beine. Bei Thunder Road (1958) zeichnete Mitchum, der gerne sang, dichtete und komponierte, für das Titellied (auch wenn dies dann leider ein anderer sang) und die Storyidee, spielte die Hauptrolle und besetzte seinen Sohn James als kleinen Bruder des Protagonisten. Diese Ballade vom autoritätsfeindlichen Schnapstransporteur, der sich mit dem organisierten Verbrechen anlegt, während er Gesetzeshüter auszutricksen versucht, war ganz nach Mitchums Einzelgängergusto. Eine weitere DRM-Produktion, The Wonderful Country (1959), erzählt ebenfalls von einem Mann zwischen zwei Fronten und nimmt in mancher Hinsicht den Spaghetti-Western vorweg.
Wie Roger Ebert 1975 schrieb: «Bei einer guten Darbietung von Mitchum ist uns nie bewusst, dass er eine Rolle spielt. Und nur, wenn wir die Abstände zwischen seinen Figuren messen, begreifen wir, was er macht.» Vergleicht man etwa seine Noir-Helden und den melancholischen Leutnant in Story of G. I. Joe (1945) mit dem tatkräftigen, romantisch aber herausgeforderten Soldaten Allison, dem arroganten Patriarchen in Home from the Hill (1960), dem wahlmexikanischen Revolverhelden in The Wonderful Country und dem australischen Schaftreiber in The Sundowners (1960), ist die Bandbreite beeindruckend, nicht zuletzt wegen der diversen Akzente, die Mitchum sich scheinbar mühelos aneignete. Am frappantesten jedoch wird der Kontrast, betrachtet man zum einen seine Schurkenrollen als teuflischer Prediger in The Night of the Hunter (1955) oder als Vergewaltiger und Mörder Max Cady in Cape Fear (1962), wo er seinen massigen Leib als obszöne Waffe in Szene setzt, und zum andern, wie Mitchum als irischer Dorflehrer in Ryan’s Daughter (1970) mit ebendiesem Körper nicht zurechtkommt und vor dem Verlangen seiner jungen Frau zurückschreckt, während der müde Protagonist von The Friends of Eddie Coyle (1973) etwa halb so gross und ein Viertel so stark wirkt wie sein Darsteller.
Wie der Regisseur Edward Dmytryk einmal sagte, stecken die echten Filmstars in ihre Darbietung immer ein persönliches, sogar autobiografisches Element; Robert Mitchum konnte dabei aus einem sehr vielfältigen Fundus eigener Erfahrungen schöpfen und verlieh unterschiedlichsten Figuren mit minimalen Mitteln jene Authentizität, die sie auch nach Jahren noch überzeugend und faszinierend machen.


Weitere sehenswerte Filme mit Robert Mitchum:

Nevada (1944), Edward Killy. Routine-Western nach Zane Grey, aber Mitchum beweist in seiner ersten Hauptrolle, dass er einen Film tragen kann.

Undercurrent (1946), Vincente Minnelli. Ein etwas unentschlossener Mix aus Melodrama und Film noir, der als Screwball Comedy mit Katharine Hepburn beginnt, bevor der Tonfall ernster wird. Mitchum hat hier nur eine Nebenrolle, als Projektionsfläche der Hepburn, die mit seinem psychopathischen Bruder (Robert Taylor) verheiratet ist.

The Locket (1946), John Brahm. Drama um eine charmante Blondine (Larraine Day), die wegen eines Jugendtraumas zur Kleptomanin wird und über Leichen geht. Legendär wegen der Verwendung einer Rückblende in einer Rückblende in einer Rückblende. Mitchum gibt hier einen feinsinnigen Künstler, der sich zu seinem Unheil in die Protagonistin verliebt und seine Nachfolger umsonst warnt.

Crossfire (1947), Edward Dmytryk. Richard Brooks hatte in seinem Roman «The Brick Foxhole» von der Ermordung eines Homosexuellen durch Armeeangehörige erzählt; Hollywoods Zensoren liessen die Geschichte so umschreiben, dass das Opfer ein Jude ist. Mitchum spielt einen Sergeanten, der die Morduntersuchung nur widerwillig unterstützt.

Out of the Past (1947) – letztes Spieldatum im Filmpodium im Rahmen der Reihe «Jacques Tourneur»: Do, 14.11., 21.00 Uhr. Ein Klassiker des Film noir und ein undurchdringliches Intrigendickicht, von Tourneur und Kameramann Nicholas Musuraca virtuos in Licht und Schatten gestaltet.

Blood on the Moon (1948), Robert Wise. Nach Pursued ein weiterer Noir-Western (Kamera: Nicholas Musuraca), in dem Mitchum von einem vermeintlichen Freund in eine Fehde gegen einen Rancher verstrickt wird.

The Big Steal (1949), pfiffiges Frühwerk von Don Siegel, gedreht vor und nach Mitchums Haftstrafe. Eine Art Roadmovie, in dem Mitchum und Jane Greer als zunächst widerwillige Reisegefährten in Mexiko einen Ganoven jagen, der beide betrogen hat, und ihrerseits von der Polizei und einem Armeeoffizier verfolgt werden. Sehr lustig, wenn auch in Sachen Substanz reine Zuckerwatte.

Macao (1952), Josef von Sternberg. Howard Hughes wollte Mitchum und Jane Russell als deftigeres Pendant zu Bogart und Bacall vermarkten. Diese Räuberpistole, die der letzte gemeinsame Film des Gespanns bleiben sollte, erreicht zwar nie die schrägen Höhen von His Kind of Woman, ist aber allemal vergnüglich.

Angel Face (1953), Otto Preminger. Mitchum als Ambulanzfahrer verfällt der scheinbar engelhaften jungen Diane (Jean Simmons), die ihre Stiefmutter um die Ecke bringt und auch sonst skrupellos vorgeht, um ihre Wünsche zu erfüllen.

Man with the Gun (1955), Richard Wilson. Mitchum wird als «town tamer» angeheuert, um brave Siedler gegen die gewalttätigen Schergen eines Grossgrundbesitzers zu verteidigen. Eigentlich versucht er aber, seine Exfrau für sich zu gewinnen, die hier einen Puff betreibt. In mancher Hinsicht ein zynischer Vorläufer des Spaghetti-Westerns.

Bandido! (1956), Richard Fleischer. Ebenfalls eine Vorwegnahme mancher Italo-Western. Mitchum persönlich produzierte diese abgebrühte Geschichte um amerikanische Waffenhändler und Söldner, die sich aus Profitgier in die mexikanische Revolution einmischen.

5 Card Stud (1968), Henry Hathaway. Dean Martin, ungewohnt ernst, gibt in diesem Krimi-Western einen Profi-Kartenspieler, der an einer fatalen Pokerpartie teilnimmt. Nachdem ein betrügerischer Spieler von der Runde gelyncht wurde, werden die Täter der Reihe nach ermordet. Der neue Ortspfarrer Rudd (Mitchum) könnte etwas damit zu tun haben...

Lo sbarco di Anzio (1968), Edward Dmytryk. Hier nimmt Mitchum eine ähnliche Rolle ein wie Burgess Meredith in Wellmans Story of G. I. Joe: Als Kriegskorrespondent begleitet er die amerikanischen Truppen bei ihrem Einsatz in Italien im Zweiten Weltkrieg und dokumentiert die Schlacht bei Anzio, die zwar mit einem Sieg für die Alliierten endete, im Rahmen der gesamten Operation jedoch ein Fehler war.
Michel Bodmer