Nüschelerstrasse 11, 8001 Zürich - 044 415 33 66

< Zurück

Das erste Jahrhundert des Films: 1936

In der Dauerreihe «Das erste Jahrhundert des Films» zeigen wir im Lauf von zehn Jahren rund 500 wegweisende Werke der Filmgeschichte. Die Auswahl jedes Programmblocks ist gruppiert nach Jahrgängen, woraus sich schliesslich 100 Momentaufnahmen des Weltkinos von 1900 bis 1999 ergeben. Referenzzahl ist jeweils der aktuelle Jahrgang, d. h. im Jahr 2016 sind Filme von 1916, 1926, 1936 usw. zu sehen. Anstatt die Olympischen Spiele in Berlin zu dokumentieren, wendet sich Luis Trenker 1936 in einem der ersten und besten deutschen Western dem Gründungsmythos der USA zu: Während die Nationalsozialisten in Deutschland unter dem Deckmantel des Sports ihre neue Stärke propagieren, zeigt Trenker die Kehrseite amerikanischer Pionierromantik und verleiht dem «myth of the frontier» mit der Geschichte des Schweizers Johann August Sutter in Der Kaiser von Kalifornien eine düstere, blutige Färbung. In Frank Capras optimistischer Komödie Mr. Deeds Goes to Town bekommt der American Way of Life durch Gier und Egoismus einige Kratzer ab, doch nur, um am Ende in Gestalt des aufrichtigen Longfellow Deeds erstarkt aus der Geschichte hervorzugehen. Wo bei Capra die Satire nur im Dialog hintergründig durchschimmert, tritt sie im beinahe stummen Modern Times im Spiel und in der Inszenierung Chaplins deutlich hervor: Der letzte Auftritt des Tramps ist zum kritischen wie auch amüsanten Kommentar über die Industrialisierung geworden, dessen kritische Spitzen weit über die damalige Gegenwart hinaus treffen. Wie Chaplin wechselte auch Yasujiro Ozu mit Der einzige Sohn erst spät zum Tonfilm, bewegte sich aber sogleich sicher auf dem neuen Terrain. Den Dialog sparsam einsetzend, zeichnet er mit ungewohnter Deutlichkeit und Schärfe im Licht seines zentralen Themas – der Familie – ein kritisches Bild der japanischen Gesellschaft zu Beginn der 1930er Jahre. Les bas-fonds wiederum vereint erstmals Jean Renoir mit Jean Gabin, der in den folgenden Jahren zum Gesicht des poetischen Realismus werden sollte. Im Gegensatz zur späteren Ernsthaftigkeit Gabins durchbricht hier sein mitunter humorvolles Spiel den pessimistischen Grundton von Gorkis Vorlage und gibt der zeitlosen Geschichte um Geld und Armut eine eigentümliche Leichtigkeit, oder, wie es André Bazin formuliert: «Nur Jean Renoir kann es sich so ungeniert erlauben, uns zur Rührung zu nötigen, indem er zugleich die Grenze der Lächerlichkeit berührt.» (André Bazin: Jean Renoir, 1977) Marius Kuhn