Premiere: Jahrgang 45
Unbequem und seiner Zeit voraus: Das war Jahrgang 45, der einzige Spielfilm des angesehenen DDR-Dokumentaristen Jürgen Böttcher. 1966 an Originalschauplätzen gedreht, verblüfft er heute mit seiner unverbrauchten Frische. Eine späte «Premiere».
«Ostberlin im Sommer 1965. Alfred und Lisa leben in Scheidung. ‹Al› ist Kfz-Schlosser, ‹Li› ist Säuglingsschwester. Al hat Urlaub und streunt durch die Stadt. Er trifft sich mit der Motorradclique von früher, bändelt mit der blonden Rita an. Schliesslich verlässt er die gemeinsame Altbauwohnung im Prenzlauer Berg und zieht zu seiner Mutter. Doch über den Nachbarn ‹Mogul› hält Al Kontakt zu Li. Am Ende könnte es Hoffnung auf einen Neubeginn geben ...
Von der Sehnsucht nach einem anderen Leben erzählt Jürgen Böttcher, stark beeinflusst vom italienischen Neorealismus der 1950er Jahre, in ebenso poetischen wie dokumentarischen Bildern. Böttcher, 1990: ‹Spielfilme wollte ich machen. Aber authentische, aus der unmittelbaren Wirklichkeit heraus entwickelte, worin auch die Alltagshärten nicht verschwiegen werden.› Kulturfunktionäre sahen in dem Film eine ‹Heroisierung der Abseitigen›. Böttcher musste die Arbeit an ihm 1966 abbrechen, erst 1990 wurde er uraufgeführt.» (Katalog Berlinale 2015)
2014/15 liess die DEFA-Stiftung den Film digital restaurieren. Er bezaubert heute durch seine unmittelbare Frische und durch authentische Figuren; etliche Szenen – etwa die Tanzveranstaltung oder die Touristen am Gendarmenmarkt – wirken fast dokumentarisch und erinnern an frühe Forman- (Der schwarze Peter, Die Liebe einer Blondine) oder Szabo-Filme (L’âge des illusions).