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Fritz Kortner

Die Filme des Gestaltungsbesessenen

Fritz Kortner (1892–1970) ist vor allem bekannt als einer der Grossen der deutschsprachigen Bühne. Im Rahmen der Viennale 2014 hat das Filmarchiv Austria Kortners Filmarbeit eine Retrospektive gewidmet, die aufgezeigt hat, dass auch viele seiner Filmrollen ebenso sehenswert bleiben wie die nach seinen Drehbüchern entstandenen Werke und die wenigen Filme, in denen er Regie geführt hat. Als Schauspieler gehörte der in Wien geborene und ausgebildete Fritz Kortner in den 1920er Jahren zu den absoluten Stars. Von 1949 an wurde er zu jenem Regisseur, der für die Befreiung des bundesdeutschen Theaters vom pseudo-innerlichen Getöne der Nazizeit so Wesentliches leistete wie Bertolt Brecht als Theaterpraktiker in Ostberlin. Kortners Einfluss auf die nachfolgende Generation war immens.
Noch bevor Kortner sich in der Spielzeit 1919/1920 erfolgreich auf den Berliner Bühnen durchsetzte, hatte er bereits in 16 Filmen als Darsteller mitgewirkt – und in zweien (leider nicht erhaltenen) selbst Regie geführt. Mag der Antrieb zu diesen Ausflügen ins Studio anfänglich durchaus an mangelnder Auslastung durch interessante Bühnenrollen gelegen haben, dass er dem Film auch neben seiner fulminanten Theaterkarriere treu blieb, zeugt von einer nachhaltigen Faszination.

Vom Stummfilmdarsteller zum Komödienregisseur
Rasch hat Kortner den in den 1910er Jahren weit verbreiteten äusserlichen Darstellungsstil überwunden und auch vor der Kamera nach einem unverwechselbaren Ausdruck gesucht, der die innere Bewegung der Figur ausdrückt, ohne zu oberflächlich-konventionellen Mitteln zu greifen. Ähnlich wie auf der Bühne konnte er sich im Film nicht nur in eine naturalistische Regiekonzeption einordnen, sondern auch in eine expressionistische, wie er etwa in Hintertreppe (Leopold Jessner/Paul Leni, 1921) oder Schatten (Arthur Robison, 1923) bewies.
Kortners mit gutem Grund berühmteste Stummfilmpräsenz ist die Rolle des Dr. Schön in Georg Wilhelm Pabsts Wedekind-Adaptation Die Büchse der Pandora. Mit realistisch-zurückhaltenden Mitteln gestaltete er im Film den inneren Widerstreit des Chefredakteurs, der Lulu in ihrer Sinnlichkeit hoffnungslos verfallen ist, sich um seiner Karriere willen aber von ihr lösen möchte. Beschränken sich andere Darsteller gerne auf den Ausdruck eines Gefühls, hat Kortner die Ambition, das Verhalten der Figuren als Resultat innerer Kämpfe zwischen unterschiedlichen Gefühlen zu gestalten.
Oft wurde Kortner als Bühnendarsteller für die geistige Durchdringung und rhetorische Formung des Textes gerühmt, doch hat er seine Figuren in hohem Masse auch gestisch und mimisch angepackt. Viele seiner Stummfilmrollen belegen, dass die körperliche Umsetzung so «sprechend» war, dass er keines Dialogtextes bedurfte, um so unterschiedliche Figuren wie einen Bauernknecht, Beethoven, einen gehemmt-tyrannischen jungen Gouverneur oder einen aalglatten Fabrikdirektor eindrücklich zu gestalten.
Im frühen deutschen Tonfilm griff man gerne auf den bühnenbewährten prägnanten Sprecher mit grosser Filmerfahrung zurück. Als Oberst Alfred Dreyfus (im gleichnamigen Film von Richard Oswald, 1930) spielte Kortner erschütternd den von den Höhen gesellschaftlicher Respektabilität in den Abgrund der Verbannung Gestürzten, der das Ungeheuerliche des ihm widerfahrenen Unrechts erst nach und nach zu fassen beginnt. Kortner hat sicher eigene Erlebnisse von antisemitischen Angriffen in die Rolle eingebracht.
Während verschiedene Anläufe Kortners scheiterten, im Theater Regie zu führen, fand er ab 1931 entsprechende Betätigungsmöglichkeiten im Film, etwa in der Komödie Der brave Sünder, die er nach einem Drehbuch von Alfred Polgar realisierte. Sie wurde zum Erfolg, wohl nicht zuletzt dank dem legendären Bühnenkomiker Max Pallenberg in der Hauptrolle.

Seiner Muttersprache beraubt
Die Nationalsozialisten hatten Kortner als «jüdischen Kulturbolschewisten» zu einem ihrer Lieblingsfeinde erkoren. So war für ihn 1933 die Notwendigkeit der Emigration evident. Über Wien gelangte er nach London, wo man dem Star grössere Filmrollen anbot, obwohl er sich mit dem Erlernen der englischen Sprache schwertat. In Abdul the Damned (1935), einem Film über die Verlogenheit und den Zynismus jeder Machtpolitik, spielte Kortner nicht nur die Haupt- bzw. Doppelrolle, sondern er hatte (wenn auch ungenannt) das Drehbuch mitverfasst. Den Londoner Produzenten wurde aber bald klar, dass sie sich mit der Besetzung des den Nazis so verhassten Darstellers den gewichtigen Absatzmarkt Deutschland verschlossen. Kortner entschied sich daher 1937, sein Glück in den USA zu versuchen.
Jenseits des Ozeans war er anfänglich als Schauspieler nicht gefragt. Er schrieb ein Bühnenstück und mehrere Drehbücher. Erst als Hollywood begann, Anti-Nazi-Filme zu drehen, gab es für Kortner – wie für viele der emigrierten Schauspieler – Arbeit.
Mit The Strange Death of Adolf Hitler (1943) durfte er die Verfilmung eines seiner Drehbücher erleben und als Darsteller mitgestalten. Der Film versucht, den Amerikanern die Situation im Nazireich näherzubringen. Geschickt bedient er sich dafür vertrauter Genrefilmanklänge und unterschlägt neben der grossen Tragik auch die unfreiwillige Komik der Popanze nicht. Nach vielen vergeblichen Anläufen wird Kortner schliesslich Anfang 1946 von Twentieth Century Fox als «contract player» und Drehbuchautor engagiert. Seine Situation ist, anders als die vieler seiner Exilgefährten, wirtschaftlich solide, doch künstlerisch unbefriedigend, als er sich, nunmehr US-Bürger geworden, Ende 1947 entschliesst, nach Deutschland zurückzukehren.

Die schwierige Rückkehr
Wegen seines engen Kontakts zu Brecht und anderen linken Emigranten hatte Kortner den Argwohn des FBI erregt. Das dürfte einer der Gründe sein, weshalb ihm von den US-Besatzungsbehörden anfänglich jede schauspielerische oder Regie-Betätigung in Deutschland verunmöglicht wurde. Schliesslich erwirkte Erich Pommer als Filmoffizier der US-Militärverwaltung, dass ein Drehbuch Kortners mit ihm selbst und seiner Frau Johanna Hofer in den Hauptrollen realisiert werden konnte. Der Ruf (1949), deutlich den engagiert-aufklärerischen Impuls der Anti-Nazi-Filme fortführend, schildert die Rückkehrschwierigkeiten der Emigranten und auch den im Nachkriegsdeutschland noch immer virulenten Antisemitismus. Dieser Thematik verschloss sich damals das deutsche Publikum; heute gilt der Film zusammen mit Peter Lorres Der Verlorene als wichtigstes Zeugnis des – weitgehend unerwünschten – Versuchs von Remigranten, künstlerische und politische Impulse für einen deutschen Neuanfang zu geben.
Nach einigen wenigen Film- und Theaterrollen sowie zwei Filmen in eigener Regie konzentrierte sich Kortner ab Mitte der Fünfzigerjahre auf die vor 1933 vergeblich angestrebte Stellung als Theaterregisseur und verabschiedete sich vom Film. Nur für das Fernsehen drehte er noch Die Sendung der Lysistrata (1961), einen höchst unbequemen Beitrag zur bundesdeutschen Remilitarisierungsdebatte.
Kortners aus einem humanistischen Welt- und Menschenbild resultierende besessene Suche nach dem unverbrauchten und authentischen Ausdruck menschlicher Empfindungen zieht sich als roter Faden durch seine Arbeit. Kortner war selbst nie zufrieden mit dem Erreichten, und vielleicht liegt seine Stärke auch eher in den herausragenden und massstabsetzenden Höhepunkten als in einem durchgehend perfekten Gleichmass. Gerade das macht die Wiederbegegnung mit dem Schauspieler und Regisseur Kortner so anregend.
Martin Girod