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Koji Yakusho

Der Alleskönner

Es gibt Stars, die mit ihrer Persönlichkeit die Eigenheiten der verkörperten Figur überstrahlen, und es gibt Schauspieler, die so in ihrer Rolle aufgehen, dass man sie selbst kaum wahrnimmt. Wenn letztere ihre Kunst so weit entwickeln, dass sie sich damit Starruhm erspielen, entspricht dies den höchsten Weihen dieses Berufs. Ein solches Ausnahmetalent ist Koji Yakusho, der die ihm gewidmete Retrospektive im Filmpodium mit einem Besuch beehren wird. «Yakusho ist ein grossartiger Schauspieler. Er kann jeden Charakter spielen. Mal ist er der ganz normale Typ von nebenan. Dann wieder kann er zum Monster werden, bei dem man keine Ahnung hat, was in ihm vorgeht. Da wir gleich alt sind, teilen wir eine ähnliche Sicht auf die Welt, die wir als instabil und fragil empfinden.» Dies die Antwort des Regisseurs Kiyoshi Kurosawa (Cure) auf die Frage, warum er in seinen Filmen so oft mit Koji Yakusho zusammenarbeite.
Ob Yakusho diese Sicht der Welt teilt, sei dahingestellt. Dass er jedoch ein unglaublich vielseitiger Schauspieler ist – facettenreich und genreübergreifend –, zeigt die Retrospektive von dreizehn Filmen, in denen Yakusho meist die Hauptrolle verkörpert. Sei es der Protagonist in Masayuki Suos herrlicher Komödie Shall We Dance?, ein unbeholfener, biederer Buchhalter, der eines Abends beim Anblick einer schönen Unbekannten seine Faszination für den Gesellschaftstanz entdeckt, dadurch zu sich selbst findet und glücklicher wird. Oder sei es in The World of Kanako der verstörte, brutale Ex-Polizist auf der Suche nach seiner verschwundenen Tochter, den Yakusho so packend und mit einer derartigen Intensität verkörpert, dass man Gänsehaut bekommt. Oder auch die Rolle des Schriftstellers in Masato Haradas Chronicle of My Mother, der nur in seiner Welt des Schreibens lebt und sich von seiner Familie abschottet, beziehungsweise diese für seine literarischen Zwecke benutzt. Erst durch den Tod seines Vaters und die fortschreitende Demenz seiner Mutter, die ihn als Kind verstossen hat, beginnt er sich zu verändern und sein Machogehabe abzulegen. In all diese Figuren schlüpft Yakusho scheinbar mühelos, als seien sie ihm auf den Leib geschrieben, und er spielt sie mal mit Intensität und Leidenschaft, mal mit dezenter Zurückhaltung.

Von der Amtsstelle auf die Bühne
Koji Yakusho (eigentlich: Hashimoto), 1956 in Nagasaki geboren, hatte nicht vor, Schauspieler zu werden. Nach dem Schulabschluss arbeitete er vorerst im Gemeindeamt eines Tokioter Bezirks. Er liebte das Theater; insbesondere soll ihn die Aufführung von Maxim Gorkis «Nachtasyl» sehr berührt haben. In der Folge entschloss er sich 1976, Schauspieler zu werden. 1978 wurde er von der renommierten Schauspielschule Mumeijuku – die der legendäre Star Tatsuya Nakadai leitete – aufgenommen. Als Anspielung auf seine frühere Beamtentätigkeit soll Nakadai ihm zum Künstlernamen Yakusho («Amtsstelle») geraten haben; gleichzeitig bedeutet der Name im Japanischen auch «breites Rollenspektrum».
Durch verschiedene Fernsehdramen und als weiss gekleideter Yakuza in Juzo Itamis Film Tampopo wurde Yakusho dem breiten Publikum bekannt. Richtig in Fahrt kam seine Karriere 1996, als er in drei Filmen drei völlig verschiedene Figuren spielte: den bereits erwähnten Buchhalter (Shall We Dance?), einen einfühlsamen Elektriker (Der schlafende Mann) und einen Yakuza, der auf Crystal Meth steht (Shabu gokudo). Für diese Rollen heimste er mehrere Auszeichnungen ein. Die Erfahrungen und Begegnungen mit Filmregisseuren bewogen ihn dazu, sich mehr auf Kinofilme als auf Theater und TV-Dramen zu konzentrieren, obwohl die Situation der Filmproduktion in Japan alles andere als einfach war – und immer noch ist. Dass Filme nicht verschwinden, gefiel Yakusho; sie gehen auf Reisen und werden so auch von einem internationalen Publikum wahrgenommen.
Trotz seines Erfolgs gab Yakusho nie etwas auf rein kommerzielle Unterhaltungsfilme, die möglichst viel Geld einbrachten. Ausschlaggebend bei der Wahl seiner Rollen waren stets das Drehbuch und ein Thema, das ihm am Herzen liegt. Bis heute ist er bereit, für kleine Gagen zu spielen. So arbeitet er vor allem mit japanischen Cineasten zusammen, die anspruchsvolle, qualitativ hochstehende Filme drehen, welche nicht unbedingt das grosse Publikum anlocken, sondern eher bei der Kritik und an Festivals Anklang finden. Shinji Aoyamas Eureka handelt von drei Überlebenden einer sinnlos brutalen Busentführung. Eine Reise im Wohnmobil durch Kyushu soll die erstarrte Gefühlswelt der Protagonisten aufbrechen. Ruhige, meditative Einstellungen und wunderbare Landschaftsaufnahmen in Sepia-Tönen spiegeln die Seelenlandschaften der traumatisierten Figuren. Auch in Yakushos Regiedebüt Toad's Oil geht es um die Verarbeitung, diesmal um die Trauer über den Tod des einzigen Sohnes. Yakusho verkörpert hier einen schwerreichen Börsenspekulanten, der sich auf eine Reise begibt, um mit dem Verlust klarzukommen und sein Leben zu hinterfragen.

Neuer Schwung für alte Genres
Auch in einigen Filmen der Altmeister Shohei Imamura und Kon Ichikawa hat Yakusho mitgewirkt, wiederum in völlig verschiedenen Rollen. In Imamuras Der Aal etwa, einer Geschichte über Resozialisierung, spielt er einen haftentlassenen Mörder, der nur mit Mühe in die Gesellschaft zurückfindet. Imamuras Film wurde in Cannes mit der Goldenen Palme ausgezeichnet.
Auch Kon Ichikawas Samurai-Drama Dora-Heita (2000) fand internationale Beachtung. Das wichtige «Jidaigeki»-Genre, welches seine Hochblüte in den 1920er und -30er Jahren hatte und in den 1950er Jahren eine Renaissance erlebte, ist in der heutigen japanischen Kinolandschaft kaum mehr zu finden. Laut Yakusho gibt es immer weniger Regisseure und Schauspieler, die solche historischen Dramen beherrschen. Deshalb sei es wichtig, dieses Genre wieder aufzunehmen, bevor es zu spät sei. Die Rolle eines Samurais verkörpert Yakusho auch gleich in zwei Filmen von Takashi Miike (Harakiri, 13 Assassins). Und es erstaunt nicht, dass diese «Jidaigeki»-Untergattung unter Miikes brillanter Regie ganz neue, ungewöhnliche Dimensionen erreicht.
Koji Yakusho hat neben vielen Auszeichnungen und Preisen 2014 auch den renommierten Toshiro-Mifune-Preis für seine herausragende Tätigkeit erhalten.
Regula König

Regula König ist Japanologin und doziert an der Universität Zürich über japanischen Film