Nüschelerstrasse 11, 8001 Zürich - 044 415 33 66

< Zurück

2nd International Arab Film Festival Zurich: Mutig, politisch, vital

Thematisch, geografisch und gestalterisch breit präsentiert sich auch in seiner zweiten Ausgabe das internationale arabische Filmfestival, das vom Filmpodium zusammen mit dem Verein IAFFZ organisiert wird. Das Festivalprogramm nimmt das Publikum mit auf eine filmische Reise von Marokko bis in die Emirate, wir begegnen aufmüpfigen Witwen, alten Freiheitskämpfern, jungen Politaktivistinnen und islamischen Mystikern. Über alle Unterschiedlichkeit hinweg erzählen die Filme immer auch von jener Aufbruchsstimmung, die das gegenwärtige gesellschaftliche, politische und kulturelle Geschehen in den arabischen Ländern prägt. Vom 11. bis 13. April werden einige arabische Filmschaffende im Filmpodium von ihrer Arbeit berichten. Als wir im Sommer 2012 das erste arabische Filmfestival vorbereiteten, war der Arabische Frühling noch jung; seine Vorboten – der Drang nach Veränderung, die Auflehnung gegen gesellschaftliche Normen – waren aber in vielen Filmen bereits spürbar. Dieses Jahr hat es ein Werk der Erneuerungsbewegung bis in die Oscar-Nominationen geschafft: Jehane Noujaims Dokumentarfilm The Square (Al midan), der quasi «von innen» über die Revolution auf dem Kairoer Tahrir-Platz berichtet. Wir freuen uns sehr, dass wir den Film – trotz Oscar-Rummel – im Rahmen unseres Festivals zeigen können.
Dass mehrere der von uns ausgewählten Filme aus Ägypten stammen, kann angesichts der langen Tradition der dortigen Filmindustrie nicht erstaunen. Der Spielfilm Winter of Discontent von Ibrahim El Batout schildert die Revolution aus der Perspektive eines politischen Aktivisten, einer TV-Moderatorin und eines Vertreters des Regimes. Obwohl vordergründig unpolitisch, vermittelt auch Nadine Khans Chaos, Disorder, der in einem ärmeren Quartier von Kairo spielt, das Bild einer Gesellschaft, die auseinanderzubrechen droht.

Frauen vor und hinter der Kamera
Wichtige Akzente im Programm setzen die Frauen. In Scheherazade’s Diary von Zeina Daccache ist es gleich eine ganze Gruppe. Daccache, Regisseurin, Schauspielerin und Theatertherapeutin, deren Film 12 Angry Lebanese am Festival 2012 zu sehen war, besucht ein Frauengefängnis. Unter ihrer kundigen Anleitung zum Theaterspiel wird die Strafanstalt zum geschützten Raum, in dem die gefangenen Frauen ernst genommen und sich ihres Werts bewusst werden. Die Tatsache, dass viele der Insassinnen in Gefangenschaft erstmals Selbstbestimmung erleben, zeigt die Schwierigkeiten, denen Frauen in arabischen Ländern sogar im persönlichsten Umfeld begegnen. Gleich mehrere Filme erzählen denn auch von weiblichem Streben nach eigenen Entscheidungen: vom Mädchen, das sich die Hand am Stuhl festklebt, um der Koranschule zu entkommen (Peau de colle der Tunesierin Kaouther Ben Hania), über die schwangere junge Witwe, die sich sittenwidrig einen Mann ins Haus holt (Sanctity der saudischen Filmemacherin und Schauspielerin Ahd), und die Freundinnen Zaineb und Aïcha, die auf gegensätzliche Weise mit dem Tragen des Kopftuchs umgehen (Hidden Beauties von Nouri Bouzid, Tunesien), bis zur Kamerafrau Khadija, die als Geschiedene Geld verdienen muss, was ihre Familie missbilligt (Camera/Woman von Karima Zoubir, Marokko).

Filmland Palästina
Neben dem Filmtraditionsland Ägypten verdient der Aufschwung des palästinensischen Filmschaffens besondere Beachtung: Nur zwei arabische Filme schafften es 2013 nach Cannes – beide aus Palästina. Omar von Hany Abu-Assad wurde in der Sektion Un Certain Regard preisgekrönt und war im Rennen um den Oscar: Die schwierigen persönlichen und moralischen Entscheide, die der Protagonist zu fällen hat, sind weder an Sprach- noch an Kulturgrenzen gebunden. Der in Ramallah von Rashid Masharawi gedrehte Palestine Stereo über zwei Brüder, die nach einem Schicksalsschlag nach Kanada auswandern wollen, fand am Festival von Toronto grosse Beachtung. Giraffada von Rani Massalha erzählt humorvoll, aber hintergründig von einem listigen Giraffentransport durch die Trennmauer zwischen Israel und Palästina, und Nation Estate überzeichnet satirisch die Zweistaatenlösung. So produktiv und international präsent das palästinensische Filmschaffen gegenwärtig auch ist, die Produktionsbedingungen sind prekär, neben Geld fehlt fast jegliche Infrastruktur. Immerhin kommen frühere Erfolge den neuen Filmen zugute: Stellen lokale Investoren fest, dass auch Geld zurückfliesst, werden sie risikofreudiger. Crowdfunding und palästinensische Fernsehsender sind weitere Finanzquellen, doch das meiste Geld kommt aus der Golfregion und Europa. Diese breite Abstützung erleichtert auch den Zugang zum Publikum in den koproduzierenden Ländern.

Der Blick zurück
Nicht alle Filme des Festivals beschäftigen sich mit zeitgenössischen Geschichten und Themen, einige werfen auch einen Blick zurück. Sei es, um die Gegenwart besser zu verstehen, wenn der Filmemacher Damien Ounouri seinen Grossonkel zu seinem Engagement gegen die französischen Kolonialherren in Algerien befragt (Fidaï); sei es, um Vergangenes nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, wie die rund 18'000 Vermissten aus dem libanesischen Bürgerkrieg von 1975 bis 1991 (Malaki – Scent of an Angel von Khalil Dreifus Zaarour). Aus dem Damals lässt sich aber auch Hoffnung schöpfen, das zeigt sich etwa im leicht nostalgischen Beirut-Porträt Asfouri von Fouad Alaywan, oder wenn der tunesische Cineast Nacer Khemir dem Islam seinen Stellenwert als Religion zurückgeben und ihn aus der «Geiselhaft der Kleriker» befreien will, indem er sich in Looking for Muhyiddin auf die Spuren des grossen islamischen Mystikers aus dem 13. Jahrhundert begibt.
Corinne Siegrist-Oboussier

Filmauswahl: Vorselektion: Aida Schläpfer, Gabriela Frei Koch, Stéphanie Torche und Michelle Wolf; definitives Programm: Michel Bodmer, Aida Schläpfer, Corinne Siegrist-Oboussier