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Otto Preminger: Einer gegen alle

Selbst seine besten Freunde nannten ihn «Otto the Terrible», gleichzeitig galt er als belesener, hoch professioneller Allrounder mit einem Riecher für aktuelle Stoffe. Der Filmregisseur und Theatermann, Produzent und Schauspieler Otto Preminger, 1905 in der Bukowina geboren, in Wien aufgewachsen und 1986 in New York verstorben, stand ein Leben lang zwischen allen Lagern. Das spiegelt sich auch in seinem unübersichtlichen Werk, das wir nach der Gesamtschau von Locarno auszugsweise präsentieren. Wer Premingers verschlungenen Lebensweg zwischen Wien, Zürich (wo er 1927 am Schauspielhaus auftrat), London und den USA nachzuzeichnen versucht, wer sein Hin und Her zwischen Broadway und Sunset Boulevard verstehen will, kommt irgendwann immer zum gleichen Punkt – jenen eines grundsätzlichen Dazwischenseins zwischen allen Lagern, Kulturen und Systemen: «Otto, der Dickschädel», der den Bossen des Studiosystems, von dem er abhängig war, zeitlebens die Stirne bot. «Otto, der Agnostiker», der sich als weltlicher Jude immer wieder harsch von seiner Religion distanzierte, um mit Exodus das grosse Gründungs-Epos des Staates Israel zu realisieren. Und «Otto the Liberal», der mutige Produzent, der den von den Kommunistenjägern verfemten Autor Dalton Trumbo rehabilitierte und zugleich mit erzkonservativen Stars wie John Wayne und James Stewart eng befreundet war.

Zwischen Kalkül und Experimentierfreude
Premingers Haltung zwischen prinzipieller Distanzierung und trotzigem Engagement erinnert an seine Helden: diese von Loyalitätskonflikten zerrissenen, öfters fragwürdigen, aber nie zu brechenden Querköpfe in den Mühlen der Politik (Advise and Consent), der Justiz (Anatomy of a Murder), der Kirche (The Cardinal) oder des Militärs (In Harm's Way). Sie erinnert aber auch an die «shady ladies» seiner Noir-Melodramen, die sich zwischen Rollenerwartungen und Geschlechterrealitäten zerrieben sehen – wie es auch die Stars Gene Tierney, Marilyn Monroe oder Jean Seberg bei Laura, River of No Return und Bonjour Tristesse auf dem Set des tyrannischen Perfektionisten am eigenen Leib erfahren sollten. Monroe etwa beschimpfte Preminger in der Wut als «decolletiertes Vakuum» mit dem «schauspielerischen Talent der Lassie-Hündin».
Nur schon diese drei seiner bekanntesten Werke deuten an, wie methodisch sich Preminger auch zwischen die damals engen Konventionen von Genre und Stil begab: Seine Noir-Filme wie auch sein Western verlagern das Interesse von grossräumig inszenierter Action zur oft kammerspielhaft analytischen Psychologie.
Premingers Lust am moderaten Aufmischen überlebter Konventionen erfüllte in den fünfziger Jahren genau die Bedürfnisse der vom Strukturwandel gebeutelten US-Filmindustrie: Die gerichtlich verfügte Trennung von ihren Kinoketten sowie die Konkurrenz des Fernsehens hatten die grossen Studios mit ihren Hausregisseuren empfindlich geschwächt. Es schlug die Stunde unabhängiger, vielseitiger und risikofreudiger Producer-Directors wie Preminger (unabhängig ab 1952), die bei Bestsellern und kontroversen Stoffen näher dran waren.
Bei Bonjour Tristesse gelang Preminger der Spagat zwischen cool kalkulierendem Produzenten und experimentierfreudigem Regisseur so gut, dass er von den Pamphletisten der Nouvelle Vague zum «auteur par excellence» geadelt werden sollte – und seine Entdeckung Jean Seberg zur Ikone von Godards À bout de souffle avancierte. Im Rückblick liegt diese Einschätzung gewiss weniger an einer ausgeprägten Regie-Handschrift als an Premingers Talent, filmische (Markt-)Lücken zu finden und sie mit exzellenten Mitarbeitern und Darstellern sowie seinem massiven Ego zu füllen. Letzteres verhalf dem gelernten Juristen zweifellos auch, dem Druck von Zensur und Unterhaltungsindustrie mit viel Zivilcourage zu trotzen.

Filmische Zwischenräume
Anders als etwa bei Fritz Lang oder Alfred Hitchcock ist bei Preminger die Filmtechnik nicht so sehr eigenständiges Gestaltungsmittel als vielmehr Dienerin der Schauspieler-Inszenierung, die er souverän und nicht selten innovativ dirigierte. Er setzte die Kamera wie eine sehr körperhafte, doch unsichtbare Schauspielerin ein, verzichtete jedoch weitgehend auf subjektive Einstellungen. Es sind wiederum die dramatischen Zwischenräume, deren psychologische Bedeutsamkeit er bei entscheidenden Dialogszenen mit komplizierten Kamerafahrten und offenen Bildkompositionen herauszuarbeiten verstand.
So ist es nicht zuletzt Preminger zu verdanken, dass sich CinemaScope vom Spektakelformat zum anspruchsvollen Gestaltungsmittel spannungsgeladener Handlungsräume mauserte. Was später Robert Altman mit seinen perspektivisch verwobenen Gesellschaftssatiren auf die Spitze treiben sollte, ist schon in Premingers Washington-Panorama Advise and Consent unübersehbar angelegt: eine dramaturgisch souverän organisierte Figurenvielfalt in der Darstellung der Scharmützel und Intrigen, wie sie auf allen Bühnen zwischen Capitol Hill und Weissem Haus bis heute auf dem Programm stehen. In seiner intelligenten, anspruchsvollen Verbindung von thematischer Breite und Tiefe ist dieses prominent besetzte Politdrama eine Blaupause zur TV-Kultserie The West Wing. Zu Recht bemerkte der Filmhistoriker Miguel Marias: «Preminger setzt mit seinem Filmstil einen intelligenten, interessierten und wachen Zuschauer voraus, dem er zutraut, dass er weder Wiederholungen noch Führungen durch den Plot braucht.»

Zwischen altem und neuem Hollywood
Premingers umfassend interessiertes «Dazwischensein» geriet zum Prinzip eines herausforderungsreichen Künstlerlebens zwischen Regiestuhl und Produzentenbank. Negativ ausgedrückt dürfte der Eklektizismus in der Wahl seiner Stoffe allerdings dazu beigetragen haben, dass die Filmgeschichte ungleich weniger gnädig mit Premingers Vermächtnis umgesprungen ist als mit jenem eines Stroheim, Sternberg, Wilder und Zinnemann, seiner Landsleute in Hollywood, mit denen er so vieles teilt. Kein äusserlicher «Touch» zeichnet Premingers Lebenswerks aus, doch lässt es sich als eine grosse, wohlbestandene Zerreissprobe deuten. Gut möglich, dass er sich selber als Mensch zwischen allen Zeiten und Zäsuren verstand, gibt es doch kaum einen Film von ihm ohne Rückblenden. Umso klarer spiegelt seine Karriere als Regisseur die Geschichte des Filmbusiness in den USA: Als 1935 Joseph Schencks Century Films mit Darryl F. Zanucks Fox fusionierte, wurde der grossbürgerlich erzogene Jude Preminger in die USA eingeladen, was er später als seine «zweite Geburt» bezeichnete.
Der immer wieder geheuerte und gefeuerte Studioregisseur für das Solide lernte schnell, sein Image als Lückenbüsser – etwa für den anderen, doch ungleich genialeren, frivoleren und eleganteren Reinhardt-Schüler Ernst Lubitsch – so professionell wegzustecken wie die späteren Karriereknicks, sei es im Film oder auf der Bühne. Sein Aufstieg hatte mit Laura begonnen, den er als Ersatzmann für Rouben Mamoulian mit grösstem Einsatz vollendete, wobei er das harte «Low key»-Schwarzweiss des morbiden Thrillers um jene entscheidenden Zwischentöne bereicherte, die für Hitchcocks Vertigo vorbildlich werden sollten. Eine eklatante Fehlentscheidung dagegen besiegelte die Glücklosigkeit seines kontroversen Alterswerks: Als ihm angeboten wurde, The Godfather zu produzieren und dabei auch Regie zu führen, lehnte Preminger dankend ab, weil er Frank Sinatra nicht für jene monumentale Rolle gewinnen konnte, die Coppola darauf Marlon Brando anbot. Der Rest ist Filmgeschichte.
Hansmartin Siegrist

Hansmartin Siegrist unterrichtet am Seminar für Medienwissenschaft der Universität Basel und an der Fachhochschule Nordwestschweiz, Hochschule für Gestaltung und Kunst.