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Glorious Technicolor: Ein Look und seine Geschichte

Nie war Rot röter, niemals Grün grüner als in den Filmen, die von den dreissiger bis in die fünfziger Jahre mit dem aufwendigen Verfahren der Firma Technicolor aufgenommen wurden. Unsere Hommage an diese Farbästhetik, die bis heute Inbegriff von Glamour und expressiver Überhöhung ist, versammelt Technicolor-Meilensteine von Becky Sharp bis zu All That Heaven Allows, viele davon in restaurierten Fassungen. Technicolor hat sich als fester Bestand unseres mythischen Kulturguts etabliert, als ein Verfahren, das für einen nostalgisch aufgeladenen Vintage-Look steht, mit makellosen Stars in atemberaubenden Roben, mit ausladenden Anwesen und überfrachteten Interieurs, aber vor allem mit Melodrama, mit hyperchromatischen Bildern, rot glühenden Sonnenuntergängen, satt leuchtenden Karosserien.
Wenn man die Geschichte der Firma Technicolor anschaut, ist diese Entwicklung mehr als erstaunlich. Trotz punktuell sehr erfolgreicher Produktionen musste das 1914 gegründete Unternehmen unter der Leitung von Herbert T. Kalmus eine Durststrecke von beinahe zwanzig Jahren überstehen, um sich die Vorherrschaft in der Produktion von Farbfilmen zu sichern. Von 1916 bis 1932 hat das Unternehmen vier Systeme entwickelt, von denen die drei ersten Rot-Grün-Zweifarbenprozesse waren. Erst mit Technicolor Nr. IV, einem sogenannten «Dye-Transfer»-Verfahren, bei welchem die Farben wie in einem Druckprozess auf den Film übertragen wurden, erweiterte sich das Spektrum auf drei Grundfarben, das in Kombination mit einem schwachen Schwarz-weiss-Positiv eine dem Vierfarbendruck ähnliche Farbtonskala wiedergeben konnte.
Nach vielen Problemen und Rückschlägen war es für Technicolor zu Beginn der 1930er Jahre schwierig, die Skepsis der Produzenten zu zerstreuen und ihr neues Verfahren einzuführen. Einzig Walt Disney war bereit, seine Animationsfilme in Technicolor zu produzieren, aber Technicolor wollte die Vorherrschaft im Spielfilm erreichen. Ein Konsortium von Financiers produzierte mit La Cucaracha 1934 einen ersten Kurzfilm, um den überwältigenden Farbenreichtum der neuen Technik zu präsentieren, und hatte Erfolg damit. Ab Mitte der 1930er Jahre folgten immer mehr Spielfilme, bis sich Ende der Dekade mit Filmen wie The Wizard of Oz, Gone with the Wind und The Adventures of Robin Hood jener Stil etablierte, der bis heute mit Technicolor assoziiert wird.

Totale Kontrolle
Im Lauf der Zeit entwickelte die Firma ein Bewusstsein dafür, dass die technische Vorherrschaft den Erfolg nicht garantieren konnte, sondern dass ein erfolgreiches Branding eine sorgfältige Kontrolle der ästhetischen Parameter erforderte. Zu diesem Zweck installierte sie dafür eigens eine Abteilung, den «Color Advisory Service», der von Natalie Kalmus, der Ex-Frau des Firmengründers geleitet wurde. Natalie Kalmus hatte Kunst studiert und versuchte mit eiserner Hand, einen künstlerisch wertvollen, an der Tradition orientierten Stil zu etablieren. Jeder Filmproduktion stellte die Firma einen «Color Consultant» zur Seite, der jedes Detail der Ausstattung, der Kostüme, der Make-ups und Frisuren kontrollierte. Auch die Kameraarbeit inklusive Lichtsetzung wurde von Technicolor überwacht, die ihre Kameras lediglich auslieh und so den gesamten Entwicklungs- und Kopierprozess in ihren Händen behielt.
Das Farbkonzept von Natalie Kalmus sah einen sehr gewählten, restriktiven Umgang mit Farbe vor, der sich vor allem dem künstlerischen Masshalten verschrieb. Die sorgfältig aufgebaute Farbdramaturgie hatte sich – im Einklang mit der vorherrschenden Hollywood-Doktrin – auf jeden Fall den erzählerischen Anforderungen unterzuordnen und durfte keineswegs Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das Farbschema sollte natürliche Farben bevorzugen und stark gesättigte Farben nur punktuell einsetzen, um dramaturgische Höhepunkte hervorzuheben oder die Position der Protagonistin in der Handlung zu unterstützen. Ausserdem sollten die Farben Stimmungen und Emotionen ausdrücken. Hier berief sich Natalie Kalmus auf etablierte Assoziationen wie Rot für Liebe, Wut, Passion, Dominanz, welche den Farben fest verankerte Bedeutungen oder symbolische Dimensionen zuschrieben. Sie war davon überzeugt, dass sich der affektive Gehalt der Szenen sowie die Figurenpsychologie auf diese Weise über Farbe vermitteln und die narrative Entwicklung der Filme massgeblich unterstützen liessen.
Um einen sogenannten «Color Score», ein dramaturgisches Farbkonzept für einen Film zu entwerfen, gingen die Color Consultants nach einem festgeschriebenen Muster vor. Zunächst bestimmte man die Kostüme des weiblichen Stars und zwar in Harmonie mit Haarfarbe, Augen und Teint. Das Interieur und die Schauplätze im Freien hatten farblich auf diese dominanten Farben zu reagieren, ebenso die Kostüme der anderen Protagonisten. Ebenfalls in Übereinstimmung mit der in den 1930er und 1940er Jahren vorherrschenden Hollywood-Ideologie sollten die Farbkonzeptionen die Lesbarkeit der Bilder unterstützen und dem Zuschauer jederzeit Klarheit über das Geschehen verschaffen. Dazu hielt man die Hintergründe eher in dezenten, erdigen Tönen, während die gesättigten Farben den Handlungsträgern vorbehalten waren. Figurenhierarchien, Konflikte zwischen Figuren, unterdrückte oder ausgelebte Leidenschaften und Aggressionen übersetzte der Color Score in die entsprechenden Farben.

Alles andere als massvoll
Ironischerweise hat sich Technicolor nicht mit «künstlerischem Masshalten» in unser kulturelles Gedächtnis eingebrannt, im Gegenteil. Es ist der satte, hyperchromatische Look – ganz besonders die «Röte des Rots von Technicolor» (Hartmut Bitomsky) –, der zum stilbildenden Merkmal einer Epoche des Hollywood-Glamour geworden ist. Nach einer relativ kurzen Periode von Beige- und Pastelltönen in den 1930er Jahren waren es vor allem die Produzenten – federführend David O. Selznick –, aber auch Kameraleute wie Jack Cardiff, die offen gegen die Vorschriften von Technicolor opponierten. Es ging ihnen um den Schauwert von Farbe, es ging darum, Farbe als expressives Material zu benutzen. In einem bemerkenswerten Aushandlungsprozess schufen sie Freiräume für die Farbexplosionen in Musical- und Tanzszenen oder Fantasien wie in The Wizard of Oz. Farbige Lichter und Mischlichter legitimierte man lose als Effektlichter aus dem filmischen Universum. Die erzählerische Rahmung diente dazu, den exzessiven Stil zu naturalisieren. So befolgte man trotz allem die ungeschriebenen Regeln des Systems, wonach sich der Stil der Narration unterzuordnen habe.
Am Ende erledigte sich das System selbst. In seiner Konzeption war es den fotografischen Techniken des 19. Jahrhunderts verhaftet, den Kunstdrucktechniken, die besonders im Piktorialismus, einer Bewegung in der Kunstfotografie des frühen 20. Jahrhunderts, en vogue waren. Die neuen Verfahren – Agfacolor und Eastmancolor vor allem – revolutionierten die Farbfilmproduktion. Sie brauchten keine riesigen Dreistreifenkameras mehr, sie waren nicht mehr an einen Konzern gebunden, der jedes Detail kontrollieren wollte. Und so starb Technicolor aus, wie ein Dinosaurier inmitten von evolutionär besser angepassten Systemen. Der Mythos aber hat überlebt.
Barbara Flückiger (Professorin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich)

Barbara Flückiger ist Professorin am Seminar für Filmwissenschaft der Universität Zürich. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehört das Zusammenspiel von Technik und Ästhetik im Film.
Ein historischer Überblick über die Entwicklung der Farbfilmverfahren und weitere Informationen zu den Technicolor-Prozessen, illustriert mit Scans aus Originalfilmen, finden sich auf ihrer Website: http://www.zauberklang.ch/colorsys.php