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3D-Festival: Aus der Tiefe des Raums

An einem verlängerten Wochenende, vom 13. bis 16. April, verwandelt sich das Filmpodium wieder einmal in ein 3D-Kino. Im Gegensatz zu früheren Events dieser Art zeigen wir vom Hitchcock-Klassiker Dial M for Murder bis zur Zürcher Premiere U2 3D alle Filme digital und mit dem Shutter-Brillen-System Xpand, das sowohl historischen als auch den aktuellen Polaroid-Brillen weit überlegen ist. Die meisten Filmfans wissen, dass die aktuelle 3D-Welle keineswegs die erste in der Geschichte des Kinos ist. Weniger bekannt ist hingegen, dass die Versuche mit dem räumlichen Sehen bis in die Anfangszeit des Mediums Film zurückreichen. So experimentierten bereits die Pioniere Louis Lumière und Max Skladanowsky mit stereoskopischen Projektionen, und schon in den dreissiger und vierziger Jahren lagen in grossen Filmländern wie Japan, Italien und der Sowjetunion ganze Filme in 3D vor. Stefan Drössler, der Leiter des Filmmuseums München, wird im Rahmen unseres kleinen 3D-Festivals dieses spektakuläre Stück Technologiegeschichte anhand zahlreicher Beispiele aufrollen und bis in die Gegenwart weitererzählen.
Den ersten eigentlichen Hype erlebte der 3D-Film im Hollywood der frühen fünfziger Jahre, als das neue Konkurrenzmedium Fernsehen das Kino unter akuten Innovationsdruck setzte und auch der längst ausgereifte Farbfilm und Breitformate wie CinemaScope ihren grossen Durchbruch hatten. Mit den Krimis Inferno und Dial M for Murder sowie dem Horrorfilm The Mad Magician zeigen wir im Rahmen unseres Festivals drei Beispiele aus jener Phase, welche von der trashig-vordergründigen bis zur dramaturgisch raffinierten Nutzung der Raumillusion reichen.
Unter den «added attractions», die den Vorsprung des Kinos auf das Fernsehen in den fünfziger Jahren sichern sollten, war 3D allerdings die weitaus kurzlebigste. Schon 1956 war die Welle weitgehend verebbt, weil sich das Publikum am – erzählerisch meist irrelevanten – Effekt der räumlichen Tiefe satt gesehen hatte und der dafür nötige Aufwand unverhältnismässig gross war: Das stereoskopische Bild erforderte ja nicht nur eine spezielle Leinwand und Polaroid- oder Rot-Grün-Brillen für jeden einzelnen Zuschauer, sondern auch zwei synchron laufende Filmprojektoren, die mit zwei leicht verschobenen Bildern die Sehwinkel eines Augenpaars imitierten. Wehe dem Vorführer also, wenn je ein Film riss oder gar ein beschädigtes Stück aus einer Rolle herausgeschnitten worden war … Es ist deshalb kein Zufall, dass 3D-Filme von den späten fünfziger Jahren bis zum Durchbruch des digitalen Kinos fast nur noch im begrenzten Rahmen von Festivals oder in Hightech-Tempeln wie den IMAX-Kinos zu sehen waren.

Digital and beyond …
Ob der digitale 3D-Film-Boom der letzten paar Jahre von Dauer sein wird, ist eine offene Frage. Die Zeit der ersten Euphorie ist auf alle Fälle vorbei, und der Marktanteil von 3D-Versionen neuer Animations- und Actionfilme war in Schlüsselländern wie den USA oder Grossbritannien 2011 bereits rückläufig. Längerfristig dürfte ausschlaggebend sein, ob sich 3D im Fernsehen und im Home Cinema soweit etabliert, dass die lukrative Verwertungskette Kino ‒ Heimkino ‒ TV, die auch den aktuellen 2D-Film bestimmt, für die aufwendigen 3D-Produktionen ähnlich zu spielen beginnt.
Aus dem 3D-Schaffen der jüngsten Zeit haben wir für unser Festival drei Beispiele ausgewählt, von denen jedes auf seine Weise richtungsweisend war: U2 3D, eine Zürcher Erstaufführung, versetzt das Publikum in ein Konzert, wie es zuvor undenkbar war; Avatar hat gezeigt, dass auch 3D-Filme epische Dimensionen haben können, und mischte zudem Real- und Animationsfilm in neuer technischer Perfektion; Pina schliesslich erschloss 3D fürs Arthouse-Kino.
Auch die vier historischen Beispiele, darunter als besondere Rarität der erste abendfüllende sowjetrussische 3D-Film, zeigen wir in den digitalisierten Versionen. Sie wären anders nicht nur schwer greifbar (und in unserem Kino mangels Silberleinwand gar nicht vorführbar), sondern kommen ihrer ursprünglichen Intention so auch näher: Kleine Berechnungsfehler konnten bei der Digitalisierung behoben werden, vor allem aber ist die Vorführung mit elektronisch gesteuerten Shutterbrillen, wie wir sie bei unserem Festival verwenden, überkommenen Vorführtechniken ebenso deutlich überlegen wie der gängigsten aktuellen mit dem Polarisationssystem Real-D: Da der Shutter das linke und das rechte Glas wechselweise vollkommen schliesst, trübt kein unerwünschtes Streulicht unsere Raumillusion. Neben der historischen kommt so auch die räumliche Tiefe bei unserem Festival voll zur Geltung.
Andreas Furler