Nüschelerstrasse 11, 8001 Zürich - 044 415 33 66

< Zurück

Nonsense-Filme: Wortverdreher und Zeitlöcher

Das berühmteste Buch der Nonsense-Literatur ist «Alice im Wunderland» von Lewis Carroll. Der Begriff «Nonsense» jedoch geht auf Carrolls Vorläufer Edward Lear zurück, zu dessen 200. Geburtstag das Museum Strauhof eine Nonsense-Ausstellung ausrichtet. Das Filmpodium zeigt begleitend dazu eine Reihe mit Nonsense-Filmen. Zu sehen sind Meilensteine des Genres vom surrealistischen Avantgarde-Klassiker bis zu Michel Gondrys Eternal Sunshine of the Spotless Mind. Und selbstverständlich dürfen dabei die Marx Brothers nicht fehlen. Rufus T. Firefly (Groucho Marx) ist soeben zum Präsidenten des Staates Freedonia gewählt worden. Nun wird ihm eine Tänzerin vorgestellt, eine sehr verführerische Dame. Mit weichen Knien tanzt Firefly vor ihr auf und ab und erklärt: «Ich habe schon vor Napoleon getanzt. Nein, Napoleon hat schon vor mir getanzt. Genauer gesagt: zweihundert Jahre vor mir.»
Genau, und vor zweihundert Jahren wurde Edward Lear geboren, der Autor von «A Book of Nonsense» (1846). Dadurch wurde «Nonsense» zum Begriff für eine besondere Art von Komik, bei der die Sprache beim Wort genommen und Wörter verdreht werden. Und hat es je einen besseren Wortverdreher gegeben als Groucho Marx (1890–1977)? Nein. Und hat es je einen besseren Marx-Brothers-Film als Duck Soup (1933) gegeben, aus dem die oben zitierte Szene stammt? Erst recht nicht.
Während die Ausstellung im Strauhof dem literarischen Nonsense gewidmet ist (siehe Box), geht es in unserem Programm um spezifisch filmische Versionen von Nonsense, und auch in dieser Hinsicht ist Duck Soup ein Meilenstein: In einer Sequenz schleichen sich Chico und Harpo als Groucho, respektive Firefly, geschminkt in den Präsidentenpalast von Freedonia. Als ein Spiegel zu Bruch geht, müssen die beiden Einbrecher «Spiegel spielen», und plötzlich treiben auf der Leinwand drei Grouchos gleichzeitig ihr Unwesen. Eine der komischsten Szenen der Filmgeschichte.
Zu diesen zählen übrigens auch die Szenen aus dem Kurzfilm Liberty (1929), in denen Laurel und Hardy auf das Baugerüst für einen Wolkenkratzer geraten – und einer von ihnen hat eine Krabbe in der Tasche. Noch übler geht es zu am Schluss von Our Relations (1936): Da taumeln Laurel und Hardy, die Füsse in Zement eingegossen, wie riesige Stehaufmännchen auf einem Pier und drohen jeden Augenblick ins Wasser zu fallen. Hier findet jene Verdinglichung statt, die Carroll-Expertin Elizabeth Sewell als für den Nonsense typisch bezeichnet hat.
Die berühmtesten Nonsense-Bücher sind nach wie vor «Alice's Adventures in Wonderland» (1865) und «Through the Looking-Glass and What Alice Found There» (1872) von Lewis Carroll (1832–1898). Zwar gibt es zahlreiche Verfilmungen, doch Carrolls Geist gerecht wurde nur der Tscheche Jan Švankmajer mit seinem Puppenanimationsfilm Alice (1988) – wobei Alice mal von einem lebenden Mädchen, mal von einer Puppe gespielt wird. Die erste «Alice»-Geschichte improvisierte Carroll, um drei kleine Mädchen zu unterhalten, und das spürt man auch: Hier werden lauter tolle Szenen aneinandergereiht, aber einen grossen Bogen, eine schlüssige Dramaturgie gibt es nicht. Ganz ähnlich verfuhren die Macher von Nonsense-Filmen wie Hellzapoppin' (1941), The Kentucky Fried Movie (1977) oder die Leute von der Monty-Python-Truppe.
Dieser gehörte auch Terry Gilliam an, der in unserer Reihe gleich mit zwei Filmen vertreten ist. Zu seinem im Mittelalter spielenden Erstling Jabberwocky (1977) liess er sich von Carrolls gleichnamigem Gedicht inspirieren. Und seine Time Bandits (1981) wären ohne Carroll ebenfalls nicht denkbar: Lässt dieser seine Alice durch einen Kaninchenbau ins Wunderland plumpsen, erlebt bei Gilliam ein kleiner Junge, dass nachts Zwerge in sein Zimmer eindringen. Sie schieben eine Wand weg, der Junge folgt ihnen – und fällt durch ein Zeitloch mitten in die Napoleonischen Kriege.
Erwachsener geht es zu in Being John Malkovich (1999): Darin entdeckt ein arbeitsloser Puppenspieler ein Portal, durch das man in den Kopf des Schauspielers John Malkovich schlüpfen kann. Das führt zu vergnüglichen Liebesverwicklungen. Vom selben Drehbuchautor, Charlie Kaufman, stammt Eternal Sunshine of the Spotless Mind (2004). In diesem Film von Michel Gondry will ein Mann die Erinnerung an eine verflossene Liebe löschen lassen. Mittendrin bereut er jedoch sein Vorhaben und will es stoppen. Das bekommt weder ihm noch der Realität gut. Diese Idee erinnert an eine Sequenz aus Carrolls «Through the Looking-Glass», ob der einen wahrlich metaphysisches Gruseln packen kann. Die Handlung des Buchs folgt dem Ablauf einer Schachpartie, und Alice trifft auch allerlei lebende Schachfiguren, darunter den schlafenden Schwarzen König. Er träume von ihr, wird ihr erklärt. Sie sei nichts als ein Produkt seiner Träume. Sollte er aufwachen, würde sie «ausgehen – peng! Wie eine Kerze.»
Thomas Bodmer

Thomas Bodmer ist Journalist und Übersetzer. Er hat die Ausstellung «Nonsense» im Museum Strauhof kuratiert.