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Clint Eastwood: Kein Gramm Fett

Vom Italowestern über Dirty Harry zum Meisterregisseur schnörkelloser Krimis, Western und Melodramen: In fünfzig Jahren hat der 1930 geborene Amerikaner Clint Eastwood fast siebzig Filme als Schauspieler und fünfundreissig als Regisseur gedreht und ist dabei zum Inbegriff wertkonservativer Unerschütterlichkeit geworden. Wir haben die Highlights dieser langen Laufbahn herausgepflückt und den deutschen Kritiker Peter Körte um seine Sicht des gelassenen Haudegens gebeten. Wir, und das ist jetzt nicht der durchsichtige Versuch, sich hinterm Plural zu verstecken, wir Kinogänger haben alle eine Geschichte mit Clint Eastwood. Ob sie geradlinig verlaufen ist oder wechselhaft, ob Skepsis in Staunen oder Ablehnung in Bewunderung umschlugen, das hängt für jeden Einzelnen davon ab, wann er Eastwood das erste Mal auf der Leinwand begegnet ist. Nur eines ist sicher: Wer ins Kino geht, der hat eine klare Haltung zu Clint Eastwood.
Ich habe ihn Anfang der siebziger Jahre als Dirty Harry im gleichnamigen Film von Don Siegel kennengelernt, und es war nicht gerade Freundschaft auf den ersten Blick. Das ist damals vielen so ergangen, weil dieser Polizist Harry Callahan für eine Auffassung von Law and Order stand, die den wenigsten geheuer war. Es brauchte Liebe zum Kino, und es brauchte die Bekanntschaft mit den Italowestern eines Sergio Leone, mit Per un pugno di dollari/A Fistful of Dollars (1964) oder The Good, the Bad and the Ugly (1966), um sich mit dem gut aussehenden, mitleidlosen Cowboy mit dem Zigarillo im Mund und dem tief in die Stirn geschobenen Hut anzufreunden: mit dem Mann, dem der Revolver so locker sass, der die Augen wie sonst nur Charles Bronson zu Schlitzen verengen und mit einer Verachtung auf seine Feinde schauen konnte, dass es selbst seinen Freunden unbehaglich werden musste. Und wer damals diese undurchdringliche Mimik studierte, der wird kaum geahnt haben, wie viel Zukunft in diesem Desperado noch steckte.
Clint Eastwoods Karriere ist noch immer eine der erstaunlichsten der Kinogeschichte, selbst für Hollywood-Massstäbe, und am Ende taugt sie womöglich noch mal zu einem Biopic, für das man sich keinen besseren Regisseur als ihn selbst vorstellen könnte. Der Mann, der Swimmingpools aushob, bevor er sich selber einen leisten konnte, der Fernsehcowboy, der Cop, der grimmig «make my day» hervorpresste, dieser Mann, der zwischen 1986 und 1988 auch mal Bürgermeister des kalifornischen Städtchens Carmel war, sollte innerhalb von zwölf Jahren die Oscarnacht zwei Mal zu seiner Party machen: 1993 mit Unforgiven und 2005 mit Million Dollar Baby, die beide in den Königsdisziplinen Beste Regie und Bester Film ausgezeichnet wurden.

Eine Handvoll Dollars
Clint Eastwood hat bei Don Siegel sehr genau hingesehen, wie man Regie führt. Diese schlanke, schnörkellose Art, eine Geschichte zu erzählen, diese Grosszügigkeit gegenüber Schauspielern, dieser Verzicht auf Effekte und Sentiment, sie lassen seine Filme wie durchtrainierte Athleten erscheinen, bei denen jeder Muskel ausgebildet und kein Gramm Fett zu viel ist. Eastwood hat über die Jahrzehnte immer wieder etwas Neues ausprobiert, hat an seinem Image gearbeitet, ohne je darüber zu reden. Statt in der Erfolgsspur von Dirty Harry zu bleiben, hat er als Regisseur in kleinen, ambitionierten Filmen wie The Outlaw Josey Wales (1976) oder Bronco Billy (1980) nach einem eigenen Ton gesucht, um dann eine imponierende Konstanz und Sicherheit des Erzählens zu erreichen. Und natürlich hat das etwas zu tun mit seiner Unbeirrbarkeit, mit der Resistenz gegenüber allem, was auch nur im Entferntesten nach Mode oder Trend aussieht. Vermutlich würde er schon bei dem Wort «Trend» die Augen zusammenkneifen und die Ader an seiner Schläfe würde bedrohlich hervortreten, wie man das so oft beim Schauspieler Clint Eastwood gesehen hat.
Spätestens seit den neunziger Jahren weiss jeder, was er an ihm hat, egal, ob Eastwood Western, Melodram, Thriller, Boxerdrama, Kriegsfilm, Komödie oder Kostümfilm dreht. Eastwood hat sein Dirty Harry-Image langsam und mit Anflügen von Selbstironie weniger demontiert als umgeschrieben; er hat Filme über Charlie Parker (Bird, 1988) und John Houston (White Hunter Black Heart, 1990) gemacht, weil er sie machen wollte, auch wenn damit nicht viel Geld zu verdienen war. Er führt seit vierzig Jahren Regie, und Understatement ist sein Geschäft – insofern man seine herausgeknurrten Statements wirklich für Understatement hält und nicht für eine unerschütterliche Haltung. «An einem gewissen Punkt bist du, wer du bist», hat er mal in der New York Times gesagt, und das klingt wie ein Echo des Satzes über den abgetakelten Westernhelden aus Unforgiven: «It’s the accident of who he is.»
Heute spürt man, wenn man in einen Film von ihm sitzt, dieses so selten gewordene Zutrauen, dass es gut gehen wird, diese Gewissheit, dass da keine falschen Töne, kein Zuckerguss sein werden. Er hat sich als romantischer Liebhaber neben Meryl Streep in The Bridges of Madison County (1995) nicht blamiert, sondern hat einen zutiefst berührt. Er ist ein amerikanischer Patriot, wie er in Flags of Our Fathers (2006) gezeigt hat, und zugleich lässt er dem japanischen Kriegsgegner in Letters from Iwo Jima (2006) seine Sicht der Dinge. Eastwoods Filme hatten bis zu diesen beiden Kriegsdramen überschaubare Sujets. Grosse Themen und Massenszenen hatten ihn nie interessiert, es ging um Männer und Frauen, die ihre eigenen Kämpfe führten, und nicht um Schlachtengemälde. Doch sobald er die Herausforderung einmal angenommen hatte, gab er auch diesem Genre einen neuen Impuls.
In beiden Filmen herrscht nicht der geringste Zweifel, dass dieser Krieg im Pazifik geführt werden musste, da ist die Einsicht, dass er die Voraussetzungen dafür geschaffen hat, dass wir heute so leben, wie wir leben – nur von dröhnendem Patriotismus findet sich keine Spur. So schroff, so klar, so unfeierlich kann das nur in einem Film von Clint Eastwood wirken.

Eine Handvoll Oscars
Clint Eastwood ist der letzte Überlebende jenes raubeinigen Individualismus, den Hollywood so oft als Ideal gefeiert hat. Er bekennt Farbe, aber er bleibt dabei der Maverick, der sich von keiner Fraktion vereinnahmen lässt. Als Mitglied der republikanischen Partei hat er Nixon und Reagan unterstützt, um später zum Gegner der Bush-Regierung zu werden, weil er den Krieg im Irak für falsch hielt. Und er überrascht einen, wenn er mit achtzig Jahren einen Film macht, der von den letzten Dingen handelt, von Nahtoderfahrung und Seelenwanderung – und dabei nicht eine Sekunde peinlich oder esoterisch wirkt, selbst wenn Hereafter (2010) vielleicht nicht sein bester Film ist.
Heute riskiert man keinen ernsthaften Widerspruch mehr, wenn man Clint Eastwood einen der grössten lebenden Regisseure nennt. Und man kann auch unbesorgt behaupten, dass zwar nicht jeder seiner Filme der grosse Wurf, aber eben auch kein einziger missglückt, uninteressant oder langweilig sei. Für die Studios, für die er arbeitet, ist er ein verlässlicher Geschäftspartner: keine Kostenexzesse, eine ausgeglichene Bilanz und eine Handvoll Oscars, die er niemand anderem als sich selbst und seinen sorgfältig ausgewählten Teams zu verdanken hat. Mit nun 81 Jahren hat er vermutlich aufgehört, noch als Schauspieler vor der Kamera zu stehen. Und wenn Wehmut nicht etwas wäre, was man in Eastwoods Welt besser hinter einer undurchdringlichen Miene für sich behielte, dann müsste man diesem «grumpy old man» aus Gran Torino (2008), der sich ändert, ohne sich untreu zu werden, hinterher trauern – um voller Erleichterung zu bemerken, dass sein nächster Film J. Edgar (2011) wohl kaum sein letzter gewesen sein wird.
Peter Körte

Peter Körte ist leitender Redaktor im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und hat Bücher über Tarantino, die Coen-Brüder und Hedy Lamarr geschrieben.