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Stummfilmfestival 2012: Archäologie der Frühzeit

Auch bei der neunten Ausgabe wartet unser Stummfilmfestival mit einer Mischung von Klassikern und Wiederentdeckungen auf, die von den besten Musikern auf diesem Gebiet nicht nur zum Klingen, sondern erst richtig zum Strahlen gebracht werden. Neu ist der Akzent auf Filme in unserer Dauerserie «Das erste Jahrhundert des Films»: dieses Jahr die Frühzeit bis 1902, das Umbruchjahr 1912, in dem epische Längen erprobt wurden, und das Jahr 1922, in dem der deutsche Expressionismus im Zenith stand. Wer glaubt, dass die Stummfilmzeit nichts Neues mehr biete, täuscht sich gewaltig. Die Geschichte dieser Ära wird laufend fortgeschrieben. Weltweit sind Archäologen des Kinos daran, Vergessenes zu Tage zu fördern und verschollen geglaubte oder kaum mehr spielbare Filme neu zugänglich zu machen. Beim Festival «Il cinema ritrovato» von Bologna etwa nahm die Fachwelt letztes Jahr staunend die Werke des Franzosen Albert Capellani zur Kenntnis, der 1912 schon Victor Hugos Roman Les misérables als monumentales Fresko inszenierte. Capellani, so schrieb der amerikanische Filmprofessor und Stummfilmkenner David Bordwell nachher in seinem Blog, müsse in einem Atemzug mit Griffith genannt, das Kino der frühen 1910er Jahre in neuem Licht gesehen werden.
Die Digitalisierung hat derlei Ausgrabungen neuen Schub verliehen. Sie vereinfacht und verbilligt die aufwendigen Restaurierungsarbeiten und die Präsentation ihrer oftmals stupenden Resultate. Schirmten die grossen Filmarchive ihre Schätze bis vor wenigen Jahren noch weitgehend von der Aussenwelt ab, um ihre raren Kopien zu schonen, so werden letztere nun zunehmend greifbar. Mehr als die Hälfte unserer diesjährigen Festivalauswahl können wir bereits in restaurierten Fassungen zeigen, die beispielsweise die unerhört feinen Kontraststufen des einstigen Nitratfilms und die Farbgebungen mittels Viragierung oder frühem zweistreifigem Technicolor-Verfahren wieder zur Geltung bringen. So führt uns die aktuelle technische Entgrenzug vor Augen, welchen Erfindungsreichtum gerade die technischen Grenzen der ersten dreieinhalb Kinodekaden hervorgebracht haben. (afu)