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Das erste Jahrhundert des Films: 1971

In unserer kleinen Auswahl mit wichtigen Filmen von 1971 spiegeln sich die Umbrüche der sechziger Jahre in jugendlichen Figuren, denen überkommene Werte nichts nützen oder nur noch Hohn und Spott sind. Doch nicht nur die Lebensentwürfe, auch die filmischen Ausdrucksformen sind zum Gegenstand des Experimentierens und Forschens geworden. Eine eigensinnige junge Frau, die auf ihren Onkel geschossen haben soll (La salamandre); verlorene Kleinstadt-Teenager, deren Eltern schon lauter Gestrandete sind (The Last Picture Show); drei Kinder, die mutterseelenallein im australischen Outback und in sich selbst umherirren (Walkabout); eine Jugendgang, die pöbelnd und prügelnd durch die Grossstadt zieht (A Clockwork Orange): Die jungen Figuren in unserer 71er-Auswahl decken das ganze Haltungsspektrum einer Generation ab, die sich die Welt aus sich heraus neu erschliesst – von Orientierungslosigkeit über Verweigerung und sanfte Provokation bis zur handfesten Revolte und Umkehrung aller Werte.
Selbstverständlich ist es aber stets ein Stück Willkür, die Filme eines Jahres derart auf einen Nenner zu bringen. Hätten wir aus unserer Liste mit weiteren wichtigen Filmen von 1971 eine andere Auswahl getroffen, so hätte sich möglicherweise eine ganz andere thematische Klammer ergeben.
Eindeutiger aber zieht sich durch die Filme der anbrechenden siebziger Jahre die formale Experimentierfreude: Die neuen europäischen Wellen schwappen auf Hollywood über, und die überalterten Studios, die sich zum Teil schon auf das Führen von Casinos und Hotelketten verlegen, greifen die neuen Impulse gierig auf. Peter Bogdanovich darf seine illusionslose Last Picture Show in sprödem Schwarzweiss drehen, und Robert Altman zeigt den Wilden Westen in McCabe & Mrs. Miller als Kloake und formt den Western dabei zur burlesken Tragödie um. In Grossbritannien vermengt Stanley Kubricks A Clockwork Orange Pop- und Hochkultur zu einem nihilistischen Zeitbild, und Nicholas Roeg montiert seinen Walkabout aus radikal fragmentierten Bildern. Selbst die Schweiz wird von den neuen Strömungen erfasst: La salamandre ist bereits ein «offenes Kunstwerk» im Sinne Umberto Ecos: Es will die Schlussfolgerungen nicht festlegen, sondern dem aktiven Zuschauer überlassen.
Andreas Furler