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50 Jahre WWF: Geschützte Tiere, vertriebene Menschen

Zum 50. Geburtstag des WWF zeigt das Landesmuseum eine Ausstellung über die Geschichte der weltweit tätigen Tier- und Umweltschutzorganisation. Wir stellen ergänzend einen der grossartigsten und einflussreichsten Filme über Wildtiere zur Diskussion: Serengeti darf nicht sterben von Bernhard und Michael Grzimek. Die Gründerväter des «World Wildlife Fund» waren britische Naturfreunde. Gegründet aber wurde die Organisation 1961 in Zürich, und ihren Sitz hat sie bis heute in der Schweiz. Wie kam es, dass der WWF mehr als fünf Millionen regelmässige Spender fand und zu einem der einflussreichsten NGOs der Welt wurde? Die Ausstellung im Landesmuseum rollt diese Geschichte am Beispiel global beachteter Projekte auf.

Grzimeks Serengeti-Filme …
Zur Bekanntmachung der WWF-Idee trugen massgeblich zwei deutsche Idealisten bei: Bernhard Grzimek, der ungemein populäre, später auch mit seiner Fernsehsendung erfolgreiche Frankfurter Zoodirektor, und sein Sohn Michael. Für Zooankäufe und Feldforschungen bereisten die beiden seit den frühen fünfziger Jahren die Steppenlandschaft der Serengeti südöstlich des Viktoriasees im heutigen Tansania. 1956 hatten sie mit Kein Platz für wilde Tiere bereits einen ersten Film über dieses vielfach gefährdete Tierparadies vorgelegt, in dem 1951 ein Nationalpark mit einer Fläche eines Drittels der Schweiz abgesteckt worden war. 1958 bereisten sie das Gebiet noch intensiver, um die bis da nur geschätzten Tierbestände und die Wanderwege der grossen Herden systematisch zu erfassen. Anlass für dieses zoologische Projekt war der Plan der Regierung, die Ostseite des Tierschutzparks den Massai und ihren Rinderherden zu überlassen und die Gebietsverluste mit Erweiterungen am nördlichen und südlichen Ende zu kompensieren. Die Grzimeks konnten nachweisen, dass diese Umzonungen die grossen Tierrouten weitgehend verfehlen würden.
Im resultierenden Film ist die Tierzählung allerdings nur noch ein anekdotisches Element unter vielen. Serengeti darf nicht sterben ist vielmehr ein exotischer Reisebericht, der die Tierbeobachtung mit abenteuerlichen und poetischen Naturerlebnissen zu einer kurzweiligen Erzählung verwebt. Einzelne «Actionszenen» wie das Einfangen eines Zebras vom Geländewagen aus oder die Jagd auf Wilderer sind offensichtlich für die Kamera nachinszeniert, und den grossen Rahmen des Films gibt der Erzähler mit seiner Beschwörung des Wildtiers als Weltnaturerbe vor. Doch bei aller historischen Bedingtheit ist Serengeti darf nicht sterben auch heute noch ein fesselnder, von der Nähe und der Liebe zu den Tieren geprägter Film, den zudem ein Hauch von Tragik umweht. Michael Grzimek, im Film die treibende Kraft und der unbekümmerte Enthusiast des Unterfangens, verunglückte gegen Ende der Dreharbeiten tödlich. Sein Vater brachte den Film als Vermächtnis heraus und gewann damit 1960 – als bis heute einziger deutscher Regisseur – den Oscar für den besten Dokumentarfilm.

… und ihre blinden Flecken
Die historischen Wurzeln und die Weiterentwicklung des Serengeti-Nationalparks – und damit auch die blinden Flecken der Grzimek’schen Parkkonzeption – hat der Grieche Andreas Apostolidis 2009 in seinem mehrfach prämierten Dokumentarfilm A Place Without People aufgearbeitet. Grzimek und seine Zeitgenossen gingen nämlich davon aus, dass ein Wildpark exklusiv den Tieren vorbehalten sei. Die seit Jahrtausenden in ökologischer Balance mit Natur und Tieren dort lebenden Massai wurden als Wilderer und Dezimierer der Bestände gebrandmarkt und zu Hunderttausenden zwangsumgesiedelt. Erst im Zuge der boomenden Fotosafaris wurden sie ab den siebziger Jahren wieder als Touristenattraktionen in kleiner Zahl in ihre Stammlande verfrachtet – doch hat der immense Land- und Ressourcenbedarf für die Tourismusindustrie die einstigen ökologischen Grundlagen weitgehend zerstört.
Apostolidis rollt diese wenig bekannten Schattenseiten der Naturparks in einer faszinierenden Montage von Gesprächen mit Betroffenen, Zoologen und weiteren Wissenschaftern auf und fängt dabei auch desillusionierende Bilder ein: die endlose Jeep-Karawane der Fototouristen, die täglich an den Tieren vorbeirollt; die Picknicks in der Savanne, bei denen einheimische Köche und Kellner ausgeklügelte déjeuners sur l’herbe für die westliche Klientel zelebrieren; schliesslich als Gegenstück zu den Parks jene sehr viel zahlreicheren «Wildreservate», die neokolonialistische Jägersehnsüchte bedienen: Für 70 000 Dollar kriegt man einen Löwen vor die Flinte, wahlweise auch vor den Pfeilbogen, gesetzt und kann sich nach erfolgreichem Abschuss von den Einheimischen feiern lassen. Gruselbilder erster Güte.
Andreas Furler