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Das erste Jahrhundert des Films: 1951

Anders als das amerikanische Kino, das während des 2. Weltkrieges kontinuierlich produzieren konnte, mussten sich die europäischen Filmindustrien erst wieder erholen und neu aufbauen. Doch auch Hollywood sah sich zu Beginn der fünfziger Jahre zu einer Neuorientierung gezwungen: Die Konkurrenz durch das Fernsehen war bereits deutlich spürbar. Während das US-Kino 1941 dominierte, weil die Filmproduktion in den anderen grossen Filmländern kriegsbedingt am Boden lag, griffen Anfang der fünfziger Jahre Frankreich, Italien und andere Länder immer häufiger zu protektionistischen Massnahmen, um die wieder aufgebaute Filmindustrie vor der amerikanischen Filmflut zu schützen. Schon 1948 war in Frankreich die Mindestspielzeit der jährlich rund hundert einheimischen Produktionen auf zwanzig Wochen erhöht worden, die Einfuhr amerikanischer Filme wurde auf 121 pro Jahr begrenzt, und die Höhe der Subventionen war direkt an den Erfolg eines Films gekoppelt. Wie nur wenige entzog sich Robert Bresson diesen Mechanismen und verfolgte kompromisslos seine Vision, auch wenn dies bedeutete, dass er seine Filme in einem viel langsameren Rhythmus würde produzieren können. So vergingen nach Les dames du Bois de Boulogne fünf Jahre, bis er Le journal d’un curé de campagne nach einem Roman von Georges Bernanos realisieren konnte.
Auch Italien knüpfte die staatliche Filmförderung an den Kassenerfolg, und Produktionskredite gab es erst, wenn das Ministerium das Drehbuch geprüft hatte: Damit sollten in einer Phase der Restauration subversive Tendenzen kontrolliert werden. Das blieb natürlich nicht ohne Einfluss auf den Neorealismus, der während und unmittelbar nach dem Krieg u. a. mit Roma, città aperta (1945) oder Ladri di biciclette (1948) seine Blütezeit erlebt und Filmen verschiedenster Genres seinen Stempel aufgedrückt hatte. Doch gerade Vittorio de Sica, einer der wichtigsten neorealistischen Regisseure, befürchtete eine gewisse Stagnation und wollte «das Stadium des blossen Konstatierens, das für Italien nötig war, überwinden», wie er sich in einem Interview äusserte. Bewusst wählte er für Miracolo a Milano die Form des Märchens, um den humanistischen Geist des Neorealismus weiterleben zu lassen.
Über das (west-)deutsche Kino brach 1951 eine Welle von Heimatfilmen herein: Nach dem Grosserfolg von Schwarzwaldmädel (1950) legte dessen Regisseur Hans Deppe 1951 gleich Grün ist die Heide nach, und zahllose weitere Titel zeichneten eine heile Welt, in der von den Kriegsverheerungen nichts zu sehen und «Heimat» ein unverfänglicher Begriff war. Peter Lorres Der Verlorene stand da ziemlich quer in der Heide, und diese war nicht grün: Die Handlung seiner einzigen Regiearbeit geht zurück ins Jahr 1943, ein Mord wird vertuscht, weil es den Machthabern zupasse kommt, und in der Haupthandlung wird das Elend der Nachkriegszeit mit seinen Auffanglagern, in denen sich auch ehemalige Nazis aufhalten, in düsteren Tönen gezeigt. Der Krieg ist vorbei, aber heil sind weder Landschaften noch Seelen: Lorre beschwor «das verstörende Bild einer Nation herauf, die an Schuldgefühlen zugrunde geht» (Sabine Hake: Film in Deutschland, 2004). Das deutsche Kino hatte 1951 auch seinen «Skandalfilm»: Willi Frosts Die Sünderin mit Hildegard Knef, wobei nicht die kleine Nacktszene Proteste hervorrief, sondern dass Prostitution und Euthanasie als fast selbstverständliche Optionen dargestellt werden.

Stay in oder Drive-in?
In den USA dagegen machte sich die Konkurrenz durch das Fernsehen mehr und mehr bemerkbar. Bereits mussten kleinere Kinos und Vorstadtsäle schliessen. Zwischen 1947 und 1951 hatte Hollywood die Hälfte seines Publikums verloren. Das Fernsehen veränderte auch die Struktur des Publikums fundamental: Erwachsene und junge Familien mit Kindern blieben zu Hause und setzten sich vor den Bildschirm, Kino wurde zum Freizeitvergnügen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, und die einzigen Lichtspieltheater, die boomten, waren die Drive-in-Kinos. Zunehmend wurden Filme – z. B. Science-Fiction-Titel – auf diese Zielgruppe ausgerichtet. Die Konkurrenz des Fernsehens führte aber auch zu Innovationen, die das Kinoerlebnis einzigartig machen und stärker vom Bildschirmkonsum abheben sollten. So waren 3D-Filme die Sensation der Londoner Filmfestspiele von 1951; im darauf folgenden Jahr war das Cinerama mit Dreifachleinwand und Stereofonie die absolute Neuheit, und 1953 hatte mit dem Römerfilm The Robe erstmals ein Film in Cinemascope Premiere.
Corinne Siegrist-Oboussier