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Elizabeth Taylor: Die widerspenstige Königin

Niemand in der Hollywood-Geschichte hielt sich so lange im Rampenlicht wie die kürzlich verstorbene Elizabeth Taylor. Unsere Hommage aus aktuellem Anlass versammelt die Höhepunkte ihrer Karriere, die Filme der fünfziger und sechziger Jahre. Man erlebt darin ein imponierendes Bestreben nach künstlerischer Vervollkommnung. Seit ihrem elften Lebensjahr, als sie in Lassie Come Home (1943) Tränen vergoss um eine bekannte Collie-Hündin, teilte Elizabeth Taylor ihr Leben mit der Welt. «Einige meiner besten Filmpartner», scherzte sie später, «waren Hunde und Pferde». Ihr Erwachsenwerden und auch ihr künstlerisches Reifen zu einer der besten Schauspielerinnen ihrer Generation vollzogen sich vor den Augen aller.
1951 spielte sie an der Seite von Montgomery Clift in A Place in the Sun eine junge Frau aus der Oberschicht. Es ist ein Drama um den gesellschaftlichen Aufstieg in das amerikanische Äquivalent zum europäischen Adel – die grossen Industriellenfamilien. Der erst 19-jährigen Taylor gelingt es, den Klassenunterschied zur Figur Clifts allein durch ihre Ausstrahlung zu vermitteln. Weit differenzierter noch ist ihre Figur in Cat on a Hot Tin Roof (1958), einem weiteren Oberschichtdrama. Als Ehefrau eines Unternehmersohns (gespielt von Paul Newman) gilt ihr Kampf dessen Alkoholismus, aber auch einer unterschwellig stets präsenten Vergangenheit. Liz Taylors grosse Filmrollen der fünfziger und frühen sechziger Jahre leben von den Konflikten zwischen gesellschaftlicher Repräsentation und verdrängter Leidenschaft. In einer Zeit der beginnenden Jugendkultur stehen sie für die verhinderte Jugend: Unvermittelt in die Erwachsenenwelt geworfen, ist es ihren Frauenfiguren oft verwehrt, sich selbst zu sein. Am tragischsten wohl in Suddenly, Last Summer, ebenfalls nach Tennessee Williams. Hier spielt sie eine traumatisierte junge Frau, der eine Lobotomie droht, weil sie belastende Erlebnisse öffentlich machen könnte. Es war einem Meisterregisseur wie Joseph Losey vorbehalten, Liz Taylors Empfindsamkeit auch in einem Unterschichtdrama herauszustellen: In Secret Ceremony betrauert sie als Prostituierte den Tod ihrer Tochter – und findet Trost in der Begegnung mit einer mädchenhaften, von Mia Farrow verkörperten Frau.

Erfüllung im humanitären Engagement
Dass sich die Öffentlichkeit während dieser erstaunlichen Darstellerinnenkarriere immer mehr für Taylors Privatleben interessierte und dieses durch die ständige Beobachtung zugleich unmöglich machte, hat sie nie für sich selber beklagt. Sie beklagte dieses Leid bei anderen: Bei Michael Jackson, für den sie leidenschaftlich eintrat, als er zum Opfer der Medien wurde, und bei Rock Hudson. Wenn sich seit dem AIDS-Tod ihres Filmpartners aus Giant im Jahre 1985 die öffentliche Wahrnehmung der Krankheit grundsätzlich änderte, wenn Ausgrenzung zusehends der Anteilnahme wich, dann war das massgeblich ihr Verdienst. «Die Schauspielerei kommt mir heute künstlich vor», sagte sie 2005. «Menschen leiden zu sehen, ist real.»
In ihrem humanitären Engagement muss Liz Taylor in ihrer zweiten Lebenshälfte jene Kontinuität gefunden haben, die ihr im Privaten ebenso versagt blieb wie in der Kunst. Denn auch hier war ihre rasante Karriere von der Unabwendbarkeit einer Trennung überschattet: Um 1960 endete die Ära der grossen Studios. Und ausgerechnet in jenem unbezahlbar teuren Epos, das dieses Schicksal wie kein zweiter Film besiegelte, spielte sie die Titelrolle: Cleopatra (1963). Allein die Geschichte dieses Films, bei dessen Dreharbeiten sie sich in ihren Partner und zweimaligen Ehemann Richard Burton verliebte, füllt Bände. Zwei Stars hatte die Filmgesellschaft Twentieth Century Fox damals unter Vertrag, deren Kostspieligkeit sie fast in den Ruin trieb. Der zweite hiess Marilyn Monroe, und gemeinsam schulterten sie einen millionenfach geträumten Traum von idealer Weiblichkeit.

Empfindsame Weiblichkeit
Marilyn Monroe verkörperte auf der Leinwand ein weit robusteres Weiblichkeitsideal, abgeleitet von der Idee, die erotischsten Frauen finde man noch immer nebenan. Im Leben ist sie daran zerbrochen. Elizabeth Taylor, die ihre frühe Kindheit in London als Tochter eines amerikanischen Galeristen und einer ehemaligen Schauspielerin verbracht hatte, stand dagegen zunächst für aristokratische Unschuld. Dass es ihr gelang, durch kluge Rollenwahl aus diesem Schubladendenken auszubrechen, hat sie wohl nicht nur als Künstlerin gerettet. Und natürlich ihr Humor, der sie sagen liess: «Wie meine Kritiker nehme ich mich nicht besonders ernst.»
Elizabeth Taylors Empfindsamkeit fand auf der Leinwand einen immer stärkeren Ausdruck. In den zwei Tennessee-Williams-Verfilmungen fand sie genau jene delikate Mischung, die in den Frauenfiguren des Dramatikers angelegt war: Das Umschlagen von der Normalität ins Neurotische. Sowohl Cat on a Hot Tin Roof als auch Suddenly, Last Summer schienen denn auch sichere Oscar-Kandidaten, doch erst als Geliebte eines verheirateten Mannes in Butterfield 8 gewann sie den Preis im Jahre 1960. «Erfolg», bekannte Taylor später ironisch, «ist ein tolles Deo. Es vertreibt all deine früheren Gerüche».

Glanzrolle als ägyptische Königin
Bald nach dem Oscartriumph begannen auch schon die langwierigen Dreharbeiten zu Cleopatra in Rom. Nur wenig von ihrer gereiften Schauspielkunst konnte sie da einbringen, umso mehr von einer natürlichen Eleganz, die mit dem Wort Glamour nur sehr unzureichend umschrieben ist. Richard Burton wurde nach dem Hotelmogul Conrad Hilton, dem Schauspieler Michael Wilding, dem tragisch verunglückten Produzenten Mike Todd und dem Sänger Eddie Fisher bereits ihr fünfter Ehemann und nur ein Jahr nach der Scheidung 1974 auch der sechste. Zwei weitere Ehen sollten scheitern.
Auch die Geschichte der Ehe mit Richard Burton könnte ganze Bände füllen. Die Eheleute selbst zogen es vor, die Gewalt und Leidenschaft dieser Beziehung über den Umweg ihrer Kunst auszudrücken: In Vincente Minnellis The Sandpiper (1965) ist sie die Verführerin eines von Burton verkörperten Priesters; mit dem Mut zur Hässlichkeit bekämpfte man sich – wieder oscargekrönt – in Mike Nichols' Meisterwerk Who's Afraid of Virginia Woolf? (1966), komödiantisch wird der Geschlechterkampf in der Shakespeare-Verfilmung The Taming of the Shrew (1967) variiert.
Elizabeth Taylor war einer der letzten Filmstars, die noch aus dem alten Studiosystem Hollywoods stammten. Es war ein System, das Schauspieler als abhängig Beschäftigte verstand. Taylor hat diese Fesseln abgestreift, so erfolgreich wie wenige. Die Freiheit, die sie sich dabei erstritt, war ihren nachfolgenden Kolleginnen und Kollegen Ansporn und Vorbild. Und in ihren letzten Lebensjahrzehnten erschien sie dann wie ihr eigenes Studiosystem: Stets perfekt gestylt, trotzte sie dem Alter und blieb doch eine hellwache Zeitgenossin. Und während sie ihren Ruhm nun für humanitäre Zwecke einsetzte, wuchs er stetig weiter. Einmal sagte sie: «Ich glaube, jetzt werde ich endlich erwachsen, wird aber auch Zeit.» Da war sie 53 Jahre alt. Mit 79 Jahren starb Elizabeth Taylor am 23. März 2011.
Daniel Kothenschulte

Daniel Kothenschulte, Köln, schreibt u. a. für die Frankfurter Rundschau, die Zeit und den film-dienst.