Barbara Stanwyck: Jenseits von Heim und Herd
Fast drei Jahrzehnte lang, von den dreissiger bis in die fünfziger Jahre, war Barbara Stanwyck eine der beliebtesten Leading Ladies des amerikanischen Kinos. Ihre Rollen in den Komödien und Melodramen, Western und Films noirs eines Capra, Vidor, Sturges, Wilder oder Lang zeigen nicht nur die Breite ihres schauspielerischen Spektrums, sondern auch ein modernes urbanes Frauenbild jenseits von Heim und Herd.
Sie spielte die Entertainerin und die Gangsterbraut, die Abenteurerin, die Missionarin, die Versicherungsbetrügerin und, immer wieder, die Aufsteigerin und die Ehebrecherin. Mehr als über die Schauspielerin Barbara Stanwyck (1907–1990) sagt dieses Repertoire über das Frauenbild im Hollywood und Amerika der dreissiger bis fünfziger Jahre aus: Jahre: Selbstbewusste, nach Selbständigkeit strebende Frauenfiguren waren offenbar nur in solchen Klischeerollen der gesellschaftlichen Aussenseiterin denkbar. Die Journalistin in Capras Meet John Doe (1941) ist da nur mehr die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Der Inbegriff der modernen Städterin
Eine Auswahl von Stanwycks wichtigsten Filmen führt uns das sich wandelnde Rollenverständnis der Frauen in der amerikanischen Zwischen- und Nachkriegsgesellschaft vor Augen. Die USA, deren Wirtschaftswachstum nach zusätzlichen Arbeitskräften verlangte, verliehen 1920 den Frauen das Wahlrecht und damit zumindest formell politische Gleichberechtigung. Stanwycks Rollen spiegeln dies wieder: Das Heimchen am Herd sucht man darunter vergeblich, und die Dame von Welt verkörperte sie – in The Lady Eve von Preston Sturges, 1941 – bezeichnenderweise als Hochstaplerin. So wandlungsfähig sich die Schauspielerin auch zeigte, sie wurde zum Inbegriff der amerikanischen Stadtfrau im 20. Jahrhundert, die sich nicht länger mit der Rolle als dekorative Beigabe ihres Mannes zufrieden gibt.
Dennoch: Die Vorurteile ihrer Zeit und die Schranken der Zensur sind den meisten dieser Filme deutlich anzumerken. Die offene Radikalität, mit der Baby Face (Alfred E. Green, 1933) noch zeigte, wie eine junge Frau aus einfachsten Verhältnissen sich zielstrebig auf der sozialen Stufenleiter emporschläft, hat zur Durchsetzung des prüden «production code» beigetragen, jener Selbstzensur, mit der Hollywoods Produzenten dem wirtschaftlichen Risiko von lokalen Zensurverboten zuvorzukommen trachteten. In späteren Filmen konnten sexuelle Kontakte – und erst recht der gezielte Einsatz von Sex – höchstens noch angedeutet werden.
Kurz zuvor hatte Barbara Stanwyck in The Bitter Tea of General Yen (Frank Capra, 1933) eine amerikanische Missionarin dargestellt, die in Shanghai von einem Warlord entführt wird und sich von dessen erotischer Attraktivität einnehmen lässt. Auch diese Figur brachte erzkonservative Lobbys wie die katholische «Legion of Decency» in Rage und trug somit unbeabsichtigt zur Verschärfung der Zensurpraxis bei.
In den vierziger Jahren spielte Barbara Stanwyck Abenteurerinnen, Gaunerinnen – etwa die professionelle Diebin in Mitchel Leisens Remember the Night (1940) – und einmal die Gangsterbraut, bevor sie in Billy Wilders Double Indemnity (1944) zu einer der ersten und wegweisenden Verkörperungen der Femme fatale des Film noir wurde: Als Ehefrau, die ihres Gatten überdrüssig ist, verführt sie einen Versicherungsagenten und stiftet ihn zum Mord an. Fritz Lang schliesslich knüpft in Clash by Night (1952) an Stanwycks Standardrolle der in die Grossstadt ausbrechenden Frau an und zeigt sie, wie sie – um manche ernüchternde Erfahrung reicher, aber erhobenen Hauptes – in ihr Heimatstädtchen zurückkehrt.
Auch Stanwycks Western-Figuren spiegeln das sich wandelnde Frauenbild: Erscheint sie in Cecil B. DeMilles Union Pacific (1939) noch als liebende Tochter und braver Kumpel, mutiert sie in Anthony Manns The Furies (1950) zur gelehrigen Schülerin ihres skrupellosen Vaters. In Forty Guns von Samuel Fuller (1957) wird sie zur «Frau mit Peitsche» (so der Arbeitstitel des Films), die ihre dominierende Stellung primär der Tatsache verdankt, dass sie noch härter ist als die sie umgebenden Männer.
Ehrgeiz und Tragik
So negativ diese Frauenfiguren oft wirken, Barbara Stanwyck hat es verstanden, deren Motive und Wünsche glaubhaft und nachvollziehbar zu machen. Vielleicht auch, weil sie wusste, was sie spielte: Die Schauspielerin mit dem zierlichen Körper, dem kräftigen Kinn und der sprechenden Mimik wurde am 16. Juli 1907 als Ruby Stevens in Brooklyn geboren. Aus einfachsten Verhältnissen stammend, arbeitete sie sich als Tänzerin in Nachtklubs und Revuegirl in den Ziegfeld Follies zu Broadway-Rollen und ersten kleinen Filmengagements hoch. Ohne je eine eigentliche Schauspielausbildung durchlaufen zu haben, bekam sie 1930/31 bei Frank Capra ihre ersten Hauptrollen. Sie, die klein angefangen hatte, kannte den Wunsch, es zu etwas zu bringen, und wusste, wie schwierig gerade für Frauen ein selbstbestimmtes Leben war.
In King Vidors Stella Dallas (1937) spielt sie – einmal mehr – eine Arbeitertochter, die sich einen sozial höhergestellten Mann angelt, auf dem gesellschaftlich geschliffenen Parkett jedoch bald ausrutscht. Das Abgleiten in die Trivialstory und die Denunziation der ordinären Aufsteigerin liegen nahe, doch Vidor und Stanwyck gelingt es, die Figur und ihre Faszination für den vornehmeren Mann mit seinen gepflegten Manieren und die «bessere» Gesellschaft plausibel zu machen, so dass ihr Scheitern eine tragische Dimension bekommt. Selten wurden im Hollywoodkino Klassenschranken so drastisch spürbar.
Neben der Intensität ihrer dramatischen Darstellungen steht Barbara Stanwycks nicht minder überzeugendes komödiantisches Talent: Ihre Lady Eve und ihre Sugarpuss in Howard Hawks' Ball of Fire (beide 1941) sind mitreissende Beispiele dafür. Ganz nebenbei verkörpert sie in diesen Komödien wie in den Melodramen, Gangstergeschichten und Western zudem die Liebende: wohl das Selbstverständlichste für eine Hollywoodschauspielerin, doch Barbara Stanwyck gelingt auch das mit seltener Glaubwürdigkeit.
Martin Girod