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Woody Allen: Unser aller Alter Ego

Am 1. Dezember feiert der Mann, der seit vier Jahrzehnten die Tragikomödie des westlichen Stadtneurotikers fortschreibt, seinen 75. Geburtstag. Anlass für einen Rückblick auf gut zwanzig seiner fast vierzig Selbstbespiegelungen, in denen sich jeder und jede wiedererkennen kann. Seit seinem Regiedebüt vor 41 Jahren hat Woody Allen 39 abendfüllende Filme gedreht, die äusserlich ein weites Spektrum abdecken: Genreparodien und Slapstickburlesken, Kammerspiele und Gesellschaftskomödien, Krimilustspiele und selbstreflexive Kunstfilme, abgründige Dramen und federleichte Unterhaltungsstücke. Er hat dabei Idolen wie Bergman, Fellini und den Marx Brothers gehuldigt, Shakespeare, Tschechow und Tolstoj zitiert, er hat dem Expressionismus und dem Film noir Denkmäler gesetzt und im vorgerückten Alter zeitweilig gar sein geliebtes Manhattan mit den Kulissen Venedigs, Londons, Paris' und Barcelonas vertauscht. Und doch gilt für ihn wie für wenige, dass er lebenslang den gleichen Film gedreht hat.
23 Mal trat er selbst darin auf, mit Ausnahme der frühen Slapstickkomödien und der Geschichte vom menschlichen Chamäleon Zelig hat er sich dabei nie gross um Verkleidungen bemüht: Allen bleibt Allen, und wenn er sich auf der Leinwand allenfalls noch etwas ungeschickter anstellt, hysterischer, hypochondrischer, egozentrischer gibt als im wahren Leben (und dafür vielleicht unschuldiger, witziger und liebenswerter erscheint), so braucht uns diese Differenz nicht zu kümmern. Eine ganze Generation hat seit den frühen siebziger Jahren mit seiner Leinwand-Persona gelebt und in ihr sich selber erkannt. Ähnlich wie Charlie Chaplin den Tramp im Überlebenskampf der amerikanischen Einwanderungs- und Depressionszeit gab oder Jacques Tati den störrischen Kleinbürger im Clinch mit der Modernisierung der westeuropäischen Nachkriegszeit, so ist Woody Allen der Prototyp des hedonistischen Narzissten und Selbstironikers, den die Individualisierung der westlichen Gesellschaften seit den 1970er Jahren hervorgebracht hat. Materielle Sorgen kennt er kaum, seine Freiheit bei der Lebensgestaltung ist gross, gerade deshalb wird ihm Letztere zum Problem. Wohl weiss er um «echte Probleme» wie Hunger und Krieg, und ein Stück weit ist ihm deren Verdrängung auch peinlich. Doch weil das Unglück der Welt fern ist und für den Einzelnen ohnehin unlösbar, ist er sich im Alltag doch selber der Nächste und leidet an der Unverträglichkeit mit seiner Liebsten, wirft derweil schon mal ein Auge auf eine andere, legt sich in Tischgesprächen und beim Analytiker auf die Couch, lotet minutiös den Überdruss am Leben und die Angst vor dem Tod in sich aus oder fühlt sich einfach irgendwie unausgefüllt, im falschen Film oder auch bloss zum falschen Orgasmus begabt. Etwas fehlt immer zum Glück, und das Genie Woody Allens besteht darin, dass er diese kapriziöse Mangelsituation mit ebenso viel Sinn fürs Absurde wie fürs Menschlich-Allzumenschliche vorführt. Indem er geringfügige Probleme ins Surreale steigert und dabei dauernd zwischen Witz und Ernsthaftigkeit pendelt, gelingt ihm die sprichwörtliche Entstellung einer Lebensweise zur Kenntlichkeit, ohne deren Vertreter der Lächerlichkeit preiszugeben. So hilft er uns, lachenderweise auf Distanz zu uns selbst zu gehen und uns mit unseren eigenen unerfüllbaren Ansprüchen und ewigen Defiziten zu versöhnen.

Wo die Kunst in Routine umschlägt
Man könnte das spezifisch Jüdische aus dieser humoristisch-fatalistischen Geisteshaltung «herausarbeiten» oder die Entwicklungslinie von den «early funny ones» über die angestrengte Ernsthaftigkeit der ersten Dramen bis zu den grossen Tragikomödien mit ihrer melancholischen Selbstironie nachzeichnen. Wir können’s damit hier aber nicht zu weit treiben – und wollen's auch nicht, weil ansonsten unvermeidlich die leidige Frage in den Vordergrund rückt, wo genau Allens Kunst in Routine umschlägt, die nur noch in Phasen akuter Aufwühlung – etwa dem unwohlig autobiografischen Meisterwerk Husbands and Wives oder dem rabenschwarzen Match Point – zur alten Inspiriertheit findet. Begnügen wir uns also mit dem Hinweis, dass unsere Auswahl bis zu den Filmen der späten achtziger Jahre mit Ausnahme des kürzlich gezeigten Bananas vollständig und ab den mittleren Neunzigern umso selektiver ist. Wir glauben, damit ganz im Sinne des Meisters zu handeln: «Das Essen in diesem Restaurant ist fürchterlich. – Ja, und so kleine Portionen!»
Andreas Furler