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Hommage an Rui Nogueira: «Für Kino war ich zu allem bereit, sogar, mich anzustrengen»

Neben Filmzyklen und Retrospektiven, den eigentlichen Markenzeichen des Filmpodiums, gehören seit 1995 Klassiker-Reeditionen zu den tragenden Säulen unseres Programms. Der wichtigste Partner für diese Wiederaufführungen ist das Centre d’animation cinématographique CAC in Genf. Ende dieses Jahres zieht sich dessen Leiter Rui Nogueira aus dem aktiven Berufsleben zurück – Anlass für uns, Rui Nogueira zu seiner Filmleidenschaft zu befragen und die Perlen aus dem Angebot des CAC nochmals auf die Leinwand zu bringen. Rui Nogueira, 1938 in Portugal geboren, ist in Mozambique aufgewachsen und hat in Europa studiert. Bis in die siebziger Jahre in Paris als Filmjournalist, Buchautor und Festivalleiter tätig, zog der streitbare Filmleidenschaftler 1977 nach Genf, wo er seither das Centre d'animation cinématographique CAC, eine kulturelle Institution von Stadt und Kanton Genf, leitet. Seit 1995 verleiht das CAC zusätzlich Filmklassiker – inzwischen sind es rund 200 Titel – und alimentiert damit über die Schweizer Grenzen hinaus das Programm kommunaler Kinos und Kinematheken. Das Filmpodium hat im Laufe der Jahre 130 dieser Klassiker-Neuauflagen mitfinanziert und als Reeditionen auf die Leinwand gebracht.

Rui, was hat eigentlich deine Kinoleidenschaft geweckt?
Sie reicht sehr weit zurück: Ich habe mich ins Kino verliebt, noch bevor ich je einen Film gesehen hatte. Da meine Eltern mitten im Schuljahr als Beamte versetzt wurden, gaben sie mich vorübergehend einem befreundeten cinéphilen Paar in Obhut. Die beiden erzählten mir statt Schneewittchen höchst lebhaft und detailliert die Filme, die sie gesehen hatten, und alles über Clark Gable, Gary Cooper, John Wayne … Auch von den Filmrevuen her kannte ich alle Schauspieler und viele Filme, noch bevor ich sie auf der Leinwand sah. Später habe ich dann alles verschlungen, was gespielt wurde. Wenn ich daneben noch etwas Schuldbildung genossen habe, dann nur, weil mein Vater als Bedingung für meine vielen Kinobesuche zufriedenstellende Schulnoten verlangte. Für Kino war ich zu allem bereit, sogar, mich anzustrengen.

Wie muss man sich das Kino damals in Mozambique vorstellen?
Ein grosser Teil der Filme, die wir sahen, waren amerikanische Filme, die aus Südafrika oder dem damaligen Rhodesien nach Mozambique gelangten. Alle selbstverständlich in Originalversion – Synchronfassungen habe ich erst viel später in Europa kennengelernt. Es gab jeweils eine zweite Leinwand für die Untertitel und zwei Vorführer. Wenn der Untertitel-Vorführer bei der ersten Projektion zu sehr von der Handlung gepackt wurde, kam er in Verzug und musste dann mit den Untertiteln den Film wieder einholen, so dass man kaum mit Lesen nachkam. Es war übrigens die Kassenfrau, die die sehr rudimentären Untertitel anhand einer Dialogliste übersetzte und auf eine Art durchsichtiges Gelatinepapier tippte. Diese bewahrte man natürlich für spätere Vorführungen auf, aber es kam sehr selten zu Wiederaufführungen – so selten, dass ich mit etwa 14 Jahren einem Mädchen einen Korb gab, weil ich unbedingt die Reprise von Premingers Laura sehen wollte. Das hat es mir nie verziehen!

Hast du denn auch von einer Berufslaufbahn beim Film geträumt?
Ich habe in Lissabon zu studieren begonnen, aber nachdem ich zweimal innerhalb von zwei Monaten an Demonstrationen verhaftet wurde, ging ich nach Paris, wo ich viel Zeit in der Cinémathèque française verbrachte.
Ich wurde dann Regieassistent beim Schulfernsehen, arbeitete mit Leuten wie Jean Eustache, Eric Rohmer oder Nestor Almendros zusammen und wollte Regisseur werden. Es gab ein Projekt mit Marcel Hanoun, einen Episodenfilm über auseinanderbrechende Beziehungen, es sollte je ein Film aus Frauen- und einer aus Männerperspektive entstehen. In meiner Episode hätten Hélène Vallier und Henri Serre (Jules et Jim) mitspielen sollen. Aber alles wurde dann sehr kompliziert …

Und was brachte dich in die Schweiz?
Die Schweiz hat mir eine elektrische Eisenbahn geschenkt: Ein Kino zu programmieren war ein Traum für mich! Ich leitete damals zwei Festivals in Frankreich, das von Hyères und jenes von Belfort, und die damaligen CAC-Leiter Claude Richardet und François Roulet luden mich ein, portugiesische Filme in Genf vorzustellen. Ich hatte mich so auf ein Fondue gefreut und ging – ohne Fondue – frustriert wieder nach Paris und bemerkte im Spass, ich würde erst wieder nach Genf kommen, wenn ich Richardets Platz haben könne. So erfuhr ich, dass die Stelle frei würde. Geklappt hat es dann schliesslich, weil ein Servette-Spieler darauf verzichtete, in der Schweiz zu wohnen und sein Platz im Genfer Ausländerkontingent für mich frei wurde – das ist wohl das einzige Mal, dass der Sport etwas für die Filmkultur getan hat!

Wie wurdest du zum Verleiher?
Der grosse unerfüllte Traum meines Lebens ist die Leitung eines Filmarchivs. Ich bin überzeugt, ich wäre perfekt gewesen! Die Freude am Archivieren, am Bewahren, verdanke ich wohl Henri Langlois, dem Gründer der Cinémathèque française, mit dem ich zusammengearbeitet habe. Das ist ja noch heute mein einziges Problem, «ma maladie»: Ich kann nicht loslassen, will alles behalten, auch bei meinem Weggang. Ich habe noch immer Material aus Mozambique; Programmhefte, Filmzeitschriften usw., das zum Teil in Pariser Kellern lagert!
Als meine Frau und Mitarbeiterin Nicoletta Zalaffi schwer erkrankte, haben wir sie im CAC nicht ersetzt; wir arbeiteten zusammen viel vom Spitalbett aus. So blieben nach ihrem Tod Mittel übrig, die dem CAC verlorengegangen wären, wenn ich sie nicht reinvestiert hätte. So kaufte ich 1995 bei Hollywood Classics Filme, die Nicoletta geliebt hatte: Seven Women, Party Girl, Moonfleet, wunderbare Filme! Ich wollte damit ein Verleihnetz für nichtkommerzielle Kinos aufbauen, mit Filmen meiner Wahl, mit Titeln, die immer wieder verlangt wurden. Ich habe dafür allerdings nie zusätzliche Subventionen bekommen. Ohne die finanzielle Unterstützung des Filmpodiums, unseres wichtigsten Partners, wäre die Verleihtätigkeit nicht möglich gewesen.

Wie stellst du die Filmpakete zusammen? Es gibt ja in deiner Auswahl Regisseure wie Vincente Minnelli, die immer wieder auftauchen.
Eine Liste entsteht über einen Zeitraum von vier bis sechs Monaten. Ich streiche, ersetze, streiche wieder usw. Minnelli ist eine Leidenschaft von mir. Auch die Studios sind wichtig: Es kommt einfach günstiger, wenn mehrere Filme von derselben Produktionsfirma stammen.
Mit Hollywood Classics war die Zusammenarbeit wunderbar. Sie hatten immer wieder Kopien, mit denen sie nichts anzufangen wussten, die z. B. für eine einmalige Aufführung in einer Botschaft oder an einem Festival gezogen worden waren. Die überliessen sie mir dann, unter der Voraussetzung, dass ich die Rechte kaufte.

Rui ohne Kino und Verleih – das kann man sich nur schwer vorstellen! Was sind deine Pläne für die Zeit nach dem CAC?
Ich habe verschiedene Eisen im Feuer; ganz aufgeben werde ich das Kino sicher nicht! Aus meiner Pariser Zeit habe ich noch viele unbearbeitete Gespräche auf Kassette. Ich habe bisher gezögert, diese Aufgabe anzupacken, weil Nicoletta als «Cutterin» meiner Interviews unerreicht ist. Erst kürzlich bin ich in der Zeitschrift «Ecran» wieder auf mein Interview mit Hitchcock gestossen – ich frage mich, ob ich heute noch so etwas zustande bringen könnte. Nicoletta kritisierte mich, redigierte, überprüfte den Rhythmus, strich: Sie war unerbittlich! Ich schmollte und tobte – aber sie hatte praktisch immer recht.
Ich weiss also noch nicht, was die Zukunft bringt, werde aber in der Welt des Kinos bleiben. Das Schlimmste, was mir passieren kann, wird darum auch das Beste sein: Aus allen Gesprächen mit so wunderbaren Persönlichkeiten wie Nicholas Ray, Otto Preminger, Alexander Trauner oder George Sherman könnte ich mehrere Bücher machen.
Interview: Corinne Siegrist-Oboussier