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Ménage à trois: Liebe im Ungleichgewicht

Mit der Liebe zu dritt ist nicht nur knisternde Erotik, sondern oft auch Drama verbunden: Eros hält die Beteiligten mit ihren Besitzansprüchen und Begierden ganz schön auf Trab. Unsere Reihe zeigt die Konstellationen der mehr oder weniger dauerhaften Dreiecksbeziehungen quer durch die Filmgeschichte. Einst, so lässt der Philosoph Platon in seinem «Symposion» Aristophanes fabulieren, hatten die Menschen die Gestalt einer Kugel mit vier Armen, vier Beinen und zwei Gesichtern, waren männlich und weiblich zugleich. Doch die Götter schnitten die hochmütigen Kugelmenschen in zwei Hälften, die seither versuchen, wieder zusammenzufinden. Nur Eros hilft als Arzt dem Menschen, sich mit seiner andern Hälfte erneut zu vereinigen.
So schön dieser Mythos scheint, so zeigt er auch, wie wenig erstrebenswert die Rückkehr zur angeblich idealen Kugelgestalt ist: Denn wo die zwei Hälften glücklich vereint sind, braucht es Eros nicht mehr – indem man das Begehren befriedigt, tötet man es.
Es ist darum kein Zufall, dass romantische Komödien mit Vorliebe in dem Moment zu Ende gehen, in dem die Liebenden sich endlich in die Arme fallen. Denn die glückliche Vereinigung ist zugleich der Schlusspunkt jeder Liebesgeschichte. «Was nun kommt, ist nur noch Langeweile», scheinen uns die Schnulzenfilme zu sagen, wenn sie das Bild der sich küssenden Liebenden mit «The End» überschreiben. Welcher Zuschauer möchte mit ansehen, wie die Leidenschaft dem alltäglichen Trott und die Liebe der Gewohnheit weichen?
In Dreiecksgeschichten indes läuft die Liebe kaum Gefahr, der Routine zu verfallen, denn Eros hält bei der zumeist komplizierten Ménage à trois die Beteiligten auf Trab. Eine Ausgewogenheit der Gefühle kann sich hier nicht einstellen, weil immer ein Drittes das Gleichgewicht stört.

Bewegte Beziehungen, bewegende Erzählungen
Als dynamische Beziehungsform eignet sich die Ménage à trois besonders, um in bewegten Bildern erzählt zu werden. Während andere Filme mit der Paarbildung aufhören, geht in den Dreiecksgeschichten des Kinos das Abenteuer erst richtig los, wenn die Liebenden zusammenfinden. Nicht umsonst singt Jeanne Moreau in Jules et Jim ihren beiden Liebhabern das Lied vom «Tourbillon de la vie», dem «Strudel des Lebens». Wie der Regisseur François Truffaut selber anmerkte, ist das Lied ein Schlüssel zum Film: Die Dreiecksgeschichte um die beiden Freunde Jules und Jim, welche dieselbe Frau lieben, ist ein solcher Strudel, in dem die Protagonisten immer wieder neu zueinander positioniert werden. Auch in Gregg Arakis Three Bewildered People in the Night stürzt das Ringen um Beziehungsformen jenseits der Norm die drei Hauptfiguren in tiefste Verwirrung. Eine Verwirrung freilich, die nicht zuletzt auch die sexuelle Orientierung der Beteiligten durcheinanderbringt: Hier sind Hetero- und Homosexualität keine Gegensätze mehr, sondern gehen ineinander über. Wie auch in Ang Lees wunderbarem The Wedding Banquet, in dem ein Schwulenpaar plötzlich seine heterosexuelle Seite entdeckt und aus einer Scheinehe überraschend eine echte wird. Doch kann sich umgekehrt auch eine Ehe als blosser Schein entpuppen, wie in Roman Polanskis grausamem Bitter Moon: Hier wird ein ahnungsloser junger Mann in die sadomasochistische Beziehung eines Ehepaars verwickelt – bis sich ihm und uns der Kopf dreht. Realität und Täuschung, Schmerz und Lust vermengen sich unentwirrbar – oft mit fatalem Ausgang. Nicht selten wissen die Verliebten den Strudel ihrer Ménage à trois nicht anders anzuhalten als mit dem Tod. So etwa in Ettore Scolas Dramma della gelosia, in dem zwei Männer schliesslich genau jene Frau umbringen, um die sie sich streiten, und auch in Alfonso Cuaróns Y tu mamá también kann die Utopie der Dreiecksliebe nur im Ausnahmezustand des Sterbens verwirklicht werden.

Dreierlei im Bett und am Herd
Doch nicht alle Filme sind so pessimistisch, was die Ménage à trois angeht. Auf dem Plakat von Jean-Luc Godards Une femme est une femme balanciert die von Anna Karina gespielte Angéla ihre zwei Männer auf den Händen, und genau so jongliert sie im Film mit dem männlichen Begehren. Im russischen Stummfilm Dritte Kleinbürgerstrasse (Bett und Sofa) von 1927 verblüfft noch heute, mit welch lakonischer Selbstverständlichkeit drei Personen in einer engen Moskauer Wohnung hausen. Der Film zeigt schön, dass die Ménage à trois mehr ist als eine Dreiecks-Bettgeschichte. Wie der Name schon sagt, geht es nicht nur darum, das Bett, sondern auch ganz prosaisch den Haushalt zu teilen: eine Herausforderung, die im Kino zusätzliches komödiantisches Potenzial mit sich bringt. Man schaue sich nur Joshua Logans verrückten Paint Your Wagon an: Die Story um zwei Goldschürfer im Wilden Westen, die sich alles – auch Ehefrau und Haushalt teilen – würfelt so viel Unvereinbares zusammen, dass der Zuschauer aus dem Staunen nicht herauskommt. Nicht nur, dass Lee Marvin, Clint Eastwood und Jean Seberg eines der merkwürdigsten Liebesdreiecke der Filmgeschichte bilden, Logans Film ist auch formal eine Ménage à trois, vermählt er doch das Westerngenre zugleich mit der «romantic comedy» und dem Musical. Dass im Film am Ende trotzdem die Dreierkonstellation zugunsten einer klassischen Paarbeziehung aufgegeben wird, ist nur verständlich, weil es sich um eine Hollywood-Produktion mit den entsprechenden Konventionen handelt, hat doch der Triangel-Haushalt ausgezeichnet funktioniert.

Das andere Happy End
Da traute sich Ernst Lubitsch in seinem Meisterwerk Design for Living nach dem Theaterstück von Noël Coward ungleich mehr. Die Liebeskomödie um das Zusammenleben eines Schriftstellers, eines Malers und einer Werbefrau beginnt nicht nur im Dreieck, sondern endet – nach einem Abstecher in die klassische, aber langweilige Zweierbeziehung – auch wieder dort. Zwar schliessen die drei Hauptfiguren am Schluss ein Gentleman’s Agreement, das zwecks besserer Haushaltsführung die Sexualität aus ihrer Beziehung ausschliessen soll. «Nur leider», so sagt die kluge Frau einmal, «bin ich kein Gentleman». Die drei bleiben trotzdem zusammen, wohl wissend, dass ihnen das Begehren schon bald und immer wieder einen Strich durch alle Verträge machen wird. Für Lubitsch steht die Unberechenbarkeit der Ménage à trois einem Happy End nicht im Wege – sie ist das Happy End.
«Es gibt kein sexuelles Verhältnis», hat der französische Psychoanalytiker Jacques Lacan gesagt. Doch hat er damit gewiss nicht gemeint, dass es keine Liebesbeziehungen gebe, ganz im Gegenteil. Aber die Beziehung zwischen Liebenden ist nicht auf ein Verhältnis zu bringen, das sich sauber bestimmen lässt. Sie bleibt ein Un-Verhältnis, ist niemals im Gleichgewicht. Der Mythos von den Kugelhälften, von dem Platon berichtet, ist falsch. Ob zu dritt oder auch «nur» zu zweit: Der Geliebte ist immer mehr als nur die Vervollständigung meiner selbst. Er ist ein eigenständiges, eigenwilliges, überraschendes Wesen, das immer nur bedingt zu mir passt, und gerade das macht ihn so begehrenswert. Diese Einsicht in die wunderbare Unverhältnismässigkeit der Liebe kann man von den Ménage-à-trois-Geschichten des Kinos lernen: Eine austarierte Liebe gibt es nicht – erst das Ungleichgewicht bringt Eros zum Tanzen.
Johannes Binotto

Johannes Binotto lebt in Winterthur als freier Filmjournalist, u. a. für Filmbulletin, NZZ und Basler Zeitung. Er schreibt mit Vorliebe über filmgeschichtliche Themen.
Das vorliegende Programm ist zu weiten Teilen eine Übernahme der Reihe «Ménage à trois», die das Stadtkino Basel im letzten Juni/Juli präsentiert hat. Wir bedanken uns herzlich für die Unterstützung.