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Romy Schneider: Ein Name, zwei Karrieren

Als junges Mädchen wurde Romy Schneider zur Kaiserin des biederen deutschsprachigen Nachkriegskinos, als moderne Frau erkämpfte sie sich in Frankreich eine zweite Karriere zwischen Sinnlichkeit, Lebenslust und tiefer Melancholie. Unsere Retrospektive zeigt die wichtigsten Stationen dieser zweigeteilten Laufbahn. In Frankreich wurde Romy Schneider «le plus beau cadeau depuis Marlene Dietrich» genannt. Der Vergleich macht Sinn: Beide hatten Deutschland den Rücken gekehrt, worauf das deutsche Publikum tief gekränkt reagierte und spätere Versuche der Rückkehr mit Ablehnung quittierte. Der grosse Unterschied: Dietrichs internationale Karriere wurde in der Bundesrepublik sehr genau beobachtet, Schneiders Aufstieg zum französischen Star dagegen weitgehend ausgeblendet. Wie sehr sie für die Deutschen Sissi geblieben ist, zeigt der Berliner Ableger von Madame Tussauds, wo ihre Wachsfigur im Sissi-Kostüm steckt. Im Pariser Musée Grévin dagegen trägt sie ein mondänes Abendkleid. Romy Schneider – ein Name und zwei öffentliche Wahrnehmungen, die sich eklatant voneinander unterscheiden. Romy Schneider – eine Schauspielerin und zwei Karrieren, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben und doch so ungut aufeinander bezogen sind.

Das süsse Mädel
Die fünfziger Jahre bilden das Jahrzehnt ihrer deutschen Karriere. Aus einer österreichischen Schauspielerdynastie stammend, debütiert sie 14-jährig an der Seite ihrer Mutter Magda Schneider in Wenn der weisse Flieder wieder blüht (Hans Deppe, 1953). Dem harmlosen Streifen folgen in sechs Jahren 15 Filme, über deren Auswahl die Mutter bestimmt, während der Stiefvater die Verträge aushandelt. In acht von ihnen wirkt Magda Schneider selber mit, und meist spielen die beiden ein Mutter-Tochter-Gespann. Mädchenjahre einer Königin (1954) über die junge Queen Victoria erweist sich als Vorstudie dessen, was der Wiener Regisseur Ernst Marischka eigentlich im Sinn hat: einen Film über die österreichische Kaiserin Elisabeth. In kurzer Folge dreht Romy Schneider Sissi (1955), Sissi, die junge Kaiserin (1956) und Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin (1957). Die rührselige Trilogie wird zum Segen an der Kasse und zum Fluch für die Schauspielerin. Sissi ist die Rolle, die zeitlebens an ihr klebt, mit der sie im deutschsprachigen Raum noch heute identifiziert wird. Bereits den zweiten Teil dreht sie nur noch widerwillig. Für den dritten wird sie unter enormen Druck gesetzt, gegen den vierten wehrt sie sich erfolgreich – und schlägt die Gage von einer Million Mark aus. Zwischen den ungeliebten Sissi-Filmen dreht sie ununterbrochen, fast durchwegs biederes deutsches Nachkriegskino. Zugleich beginnt eine Ausstrahlung durchzuschimmern, für die sie später so bewundert wird, etwa in Mädchen in Uniform (Geza Radvanyi, 1958), dem Remake des legendären Originals von 1931, oder in Christine (Pierre Gaspard-Huit, 1958), dem Wiederaufguss von Max Ophüls' Liebelei, in dem 1933 Magda Schneider die Hauptrolle spielte.

Flucht nach Frankreich
1959 erfolgt der Befreiungsschlag. Mit 21 Jahren zieht sie nach Paris zu Alain Delon, in den sie sich auf dem Set von Christine verliebt hat. Doch damit beginnt ein unstetes Jahrzehnt. In Frankreich ist Romy Schneider kaum bekannt, Phasen des Weiterkommens wechseln mit solchen der Stagnation. Sie arbeitet in Grossbritannien und Italien unter anderem mit Orson Welles und Luchino Visconti; in Frankreich hat sie zunächst vor allem auf dem Theater Erfolg. Nach der Trennung von Delon zieht sie in die USA, dann wieder nach Frankreich, wo sie in Jean Chapots La voleuse (1966) erstmals an der Seite von Michel Piccoli spielt, mit dem sie später eines der grössten Leinwandpaare des französischen Kinos bildet. Sie kehrt nach Deutschland zurück und macht nach der Geburt des Sohnes David zum ersten Mal über ein Jahr Drehpause. In Jacques Derays schwül-erotischem Kammerspiel La piscine (1969) steht sie wieder mit Delon vor der Kamera, und prompt reden die Medien eine Wiedervereinigung des Paars herbei.
Es folgt das Jahrzehnt ihrer französischen Karriere, in dessen Verlauf sie zum zweiten Mal, und doch so anders, zum Star aufsteigt. Bei der Premiere von Les choses de la vie (1970) ist sie 32 Jahre alt; es ist die erste Zusammenarbeit mit Claude Sautet, mit dem sie auch Max et les ferrailleurs (1971), César et Rosalie (1972), Mado (1976) und Une histoire simple (1978) drehen wird. Bei Sautet schärft sie ihr Rollenprofil, spielt die Hure, die Frau zwischen zwei Männern, diejenige, die abtreibt. Sie stellt Frauen dar, die selber, wenn auch oft glücklos, über ihr Leben, ihren Körper und ihre Arbeit entscheiden – was ihr im eigenen Leben nur bedingt gelingt. Visconti engagiert sie 1972 erneut. Wieder spielt sie in Ludwig die Kaiserin von Österreich, doch was sie nun als Elisabeth über ihre Jahre als junges Ding am Wiener Hof sagt, ist klug und bitter. Und beklemmend deckungsgleich mit dem, was sie als Romy Schneider über ihre Jahre im bundesdeutschen Filmgeschäft sagt. Und: Sie, deren Mutter von Hitler auf dem Obersalzberg empfangen wurde, spielt mehrfach Jüdinnen in den Wirren des Zweiten Weltkriegs, unter anderem in Pierre Granier-Deferres Le train (1973).
Doch der berufliche Erfolg wird von privatem Leid begleitet. Ehen scheitern, Affären mit Männern und Frauen enden, und im Sommer 1981 muss sie den Unfalltod des 14-jährigen Sohnes hinnehmen. Die anschliessenden Dreharbeiten zu La passante du Sans-Souci von Jacques Rouffio erlebt sie als Qual, ein weiteres Projekt mit Alain Delon bleibt unrealisiert: Einen Monat nach der Premiere von La passante du Sans-Souci stirbt sie, 43-jährig, am 29. Mai 1982 an Herzversagen.
Was bleibt, ist die Erinnerung an eine Schauspielerin, die begabt war mit ausserordentlichem Talent, einer erotischen Stimme und einem Blick, der mühelos von überbordendem Strahlen in verschattete Schwermut glitt; an eine Künstlerin von enormer Präsenz, die sich ihrer Sinnlichkeit bewusst war; aber auch an eine früh Ausgebeutete, die später keine Grenzen ziehen konnte; die ihre Kräfte nicht einzuteilen wusste, sondern im Akkord arbeitete und mit distanzloser Vehemenz spielte; die unerfüllbare Ansprüche an sich stellte und ihrem Können stets misstraute; und die zwanzig Jahre lang versuchte, von ihrer deutschen Kinovergangenheit loszukommen. In Frankreich wurde sie darüber zum Nationalgut, in Deutschland bleibt sie auf das süsse Mädel behaftet.
Philipp Brunner

Philipp Brunner ist Filmpublizist und Dozent für Filmwissenschaft an der Universität Zürich. Er ist Mitherausgeber des Filmjahrbuchs «Cinema» sowie Autor von «Konventionen eines Sternmoments. Die Liebeserklärung im Spielfilm» (2009).