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75 Jahre Columbus Film: Altes pflegen, Neues entdecken

1934 gegründet, ist die Firma Columbus Film der älteste noch aktive unabhängige Schweizer Filmverleiher. Der über die Jahrzehnte akquirierte Klassikerstock macht sie denn auch zum wichtigsten Verleihpartner des Filmpodiums. Zum Jubiläum zeigen wir eine Auswahl aus dem Columbus-Repertoire und werfen einen Blick in die bewegte
Firmengeschichte.
Der Name des berühmten Seefahrers und Entdeckers aus Genua erscheint im Rückblick als programmatisch für das Angebot der Columbus Film AG. Doch ursprünglich hatte es mit dem Firmennamen eine andere Bewandtnis: Der Verleih entstand 1934 als Schweizer Vertrieb des Hollywoodstudios Columbia Pictures. Die Mitte der zwanziger Jahre gegründete Firma der Brüder Harry und Jack Cohn hatte sich mit einer Reihe erfolgreicher Filme – vor allem jenen ihres herausragenden Hausregisseurs Frank Capra – in den Rang eines der acht führenden US-Studios hochgearbeitet.
Chef der Columbus Film war Werner Sautter. Er wurde rasch zu einer einflussreichen Persönlichkeit der Schweizer Filmbranche. Ab 1938 war er Mitglied der neu geschaffenen Schweizerischen Filmkammer, dem Vorläufergremium der Eidgenössischen Filmkommission. Als für die Kriegszeit eine Filmzensur auf Bundesebene eingeführt wurde, war Sautter als Chef der Sektion Film bei der Abteilung Presse und Radio im Generalstab zugleich Leiter der Zensurbehörde.
Die Columbus Film blieb, abgesehen von einem zweijährigen Unterbruch, bis Mitte der fünfziger Jahre der Schweizer Verleih der Columbia-Produktionen, doch bestand das Angebot schon in der Kriegszeit keineswegs ausschliesslich aus den Titeln des Hollywoodstudios. Schliesslich musste man angesichts der Umzingelung der Schweiz durch die Achsenmächte auch mit der Eventualität rechnen, vom Nachschub aus den USA völlig abgeschnitten zu werden. So hat Sautter auch Schweizer Filme wie die beiden Praesens-Produktionen Wachtmeister Studer (Lindtberg, 1939) und Fräulein Huser (Steckel, 1940) oder Max Hauflers Zuckmayer-Adaptation Menschen, die vorüberziehen … (1942) verliehen.

Balance zwischen Kunst und Kommerz
1946 trat mit Rudolf Hoch ein junger, cinephiler Mitarbeiter in die Firma ein, der gerade seine Ausbildung als Börsenhändler abgeschlossen hatte. Sautter liess ihm bald relativ freie Hand beim Aufspüren neuer filmkünstlerischer Strömungen. So wurde die Columbus zum Verleih der italienischen Neorealisten; nicht nur Ladri di biciclette und Sciuscià, auch Aldo Verganos Il sole sorge ancora gehörten zum Angebot – obwohl es anfänglich Widerstände des konservativen Sautter gegen den «kommunistischen Partisanenfilm» zu überwinden galt. Hoch setzte sich nachhaltig für die frühen Ingmar-Bergman-Filme ein und pflegte später Filmautoren wie Akira Kurosawa, Andrzej Wajda und Andrej Tarkowskij. Auch Věra Chytilová, Márta Mészáros oder Joan Micklin Silver, als Regisseurinnen damals noch Ausnahmeerscheinungen, waren ganz selbstverständlich präsent.
Besonders stark ausgebaut wurde das Repertoire an amerikanischen Filmklassikern mit Highlights wie Casablanca, Notorious, You Can't Take It with You und gleich sieben Marx-Brothers-Filmen. In der zweiten Hälfte der sechziger Jahre kamen die Filme der «Prager Schule» dazu, darunter insbesondere jene von Jiří Menzel. Kurosawas 1975 als sowjetische Produktion gedrehter Dersu Usala wurde zu einem überraschenden Erfolg und legte die Vertrauens- und Geschäftsbasis für eine langjährige Zusammenarbeit mit dem staatlichen sowjetischen Filmexport; sie erlaubte es Hoch u. a., Tarkowskijs Andrej Rubljow herauszubringen, als er nach Jahren endlich für den Export freigegeben wurde. Für den Schweizer Film engagiert hat sich Hoch, indem er Xavier Kollers Das gefrorene Herz und Der schwarze Tanner sowie Thomas Koerfers Konzert für Alice herausbrachte.
Erfreulich vielen der von ihm aufgespürten Werke konnte Hoch auf Anhieb zum Durchbruch in den Schweizer Kinos verhelfen; in anderen Fällen hielt er über Jahre ihm wichtigen Autoren die Treue, obwohl sich das Engagement etwa für die Filme von Andrzej Wajda kaum unmittelbar bezahlt machte. Als solider Kaufmann wusste Hoch, der die Firma im Laufe der siebziger Jahre von Sautter ganz übernahm, aber nur zu gut, dass sich mit Filmkunst allein kein kommerziell stabiler Verleihbetrieb führen lässt – und eine Verleihförderung aus öffentlichen Mitteln schien damals noch kaum denkbar. Deshalb hat sich die Columbus, als Karate-Filme im Schwang waren, zum Beispiel einige Bruce-Lee-Filme gesichert; später bildeten Produktionen der englischen Traditionsfirma Rank die kommerzielle Seite des Verleihs.

Gewahrte Kontinuität
Als Rudolf Hoch um 1990 den Zeitpunkt für seinen Rückzug aus dem aktiven Berufsleben gekommen sah, bereitete er in seiner zurückhaltenden Art seine Nachfolge vor: Der Zürcher Produzent Alfi Sinniger (Catpics), mit dem Hoch für die Lancierung von Der schwarze Tanner schon eng zusammengearbeitet hatte, übernahm gemeinsam mit seinem Produzentenkollegen Marcel Hoehn (T&C) und dem cinephilen Verleger Peter Baumann die Firma.
Zu einem ersten grossen Erfolg wurde Xavier Kollers oscargekrönte, von Sinniger produzierte Reise der Hoffnung. Ebenfalls von Catpics stammten die Filme der Kanada-Schweizerin Léa Pool (Mouvements du désir, Emporte-moi) und Friedrich Kappelers Mani Matter – Warum syt dir so truurig?, während aus Marcel Hoehns Produktion u. a. die Filme von Daniel Schmid und Fredi M. Murers Vollmond zur Columbus kamen. Auch Filme anderer Produzenten wie die italienisch-schweizerische Koproduktion Pane e tulipani von Silvio Soldini brachte das Columbus-Team erfolgreich heraus. Peter Baumann, der ab 2000 die alleinige Geschäftsführung übernahm, pflegte auch konsequent den Klassikerstock der Firma weiter, indem er Lizenzen verlängerte, bei Bedarf auch in neue Kopien investierte und weitere Perlen, wie etwa Howard Hawks' To Have and Have Not, erwarb.
In einer Zeit, in der sich andere Verleihfirmen den Nachschub an neuen Titeln über «Output Deals» sicherten, mit denen sie unbesehen die gesamten Neuheiten einer grossen Produktionsgesellschaft oder einer Weltvertriebsfirma übernahmen, setzte Columbus Film darauf, wenige Filme herauszubringen, diese aber mit grossem Einsatz zu pflegen. Dieser Politik blieb auch die nächste Leitungsgeneration treu: die Filmverleiherin und Marketingfachfrau Selina Willemse und die Filmwissenschaftlerin und Kunsthistorikerin Andrea Bleuler, die ab Sommer 2006 die Verantwortung übernahmen, als Peter Baumann der Doppelberuf des Buchverlegers und Filmverleihers zu anstrengend wurde. Gleich in der Einarbeitungsphase Anfang 2006 waren sie mit der engagierten Lancierung von Christoph Schaubs Jeune homme ein erstes Mal erfolgreich. Es folgten u. a. die spanisch-schweizerische Koproduktion Un franco, 14 pesetas von Carlos Iglesias oder Fanny Bräunings mit dem Schweizer Filmpreis ausgezeichneter Dokumentarfilm No More Smoke Signals.
Schwieriger erweist sich die Wahrung der Kontinuität in einem Bereich, den Spielstellen wie das Filmpodium besonders zu schätzen wissen: dem Klassikerrepertoire. Die Preisforderungen für Klassiker sind gewaltig gestiegen, gleichzeitig sind höchstens noch drei- bis fünfjährige Lizenzen zu haben. Bei Werken der Filmgeschichte reicht das nicht einmal zur Amortisierung einer Kopie.
Während Jahrzehnten und über mehrere Leitungsgenerationen hat die Columbus Film das Filmangebot in der Schweiz bereichert, indem sie neue Werke und Autoren bekannt machte und daneben den historischen Film pflegte. Es gehört zu den bitteren Pointen der filmwirtschaftlichen und filmpolitischen Entwicklung, dass gerade dieser kulturell wichtige Bereich in der Schweiz heute mangels Förderung bedroht ist, während Novitäten, inzwischen vom Bund und auf europäischer Ebene gefördert, weiterhin prosperieren.
Martin Girod