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The Coen Brothers: Schöner scheitern

Dass die Skala der menschlichen Dummheit nach oben offen ist, belegen die Filme der Brüder Joel (*1954) und Ethan (*1957) Coen immer wieder. Beim Besuch in ihrem Universum der Loser, die das Unheil magisch anziehen, schwankt das Publikum zwischen Mitleid und Entsetzen – bis schliesslich das Vergnügen obsiegt. Das teuflisch raffinierte Werk des Brüderpaars, das vor Anspielungen auf alle Sparten der Populärkultur strotzt, hat das US-Kino der letzten 25 Jahre mit farbenfroher Schwärze überzogen. Die Helden in den Filmen der Gebrüder Coen sind gar keine. Wer sich ihr Œuvre anschaut, kann schwerlich übersehen, welch grosse Affinität Joel und Ethan Coen für Verlierer haben. Schon in ihrem Erstling Blood Simple von 1984 machen sämtliche Beteiligten ganz und gar alles falsch: Eine junge Ehefrau geht ausgerechnet mit einem Angestellten ihres Gatten ins Bett. Der schmierige Gatte wiederum, ein Barbesitzer, weiss nichts Besseres, als einen noch schmierigeren Privatdetektiv anzuheuern, der mit dem Liebespaar abrechnen soll. Doch auch der Schnüffler macht nicht, was er soll, sondern fällt seinerseits dem Barbesitzer in den Rücken und bringt ihn um. Und das ist erst der Anfang des Schlamassels. Die verworrene Figurenkonstellation, in der jeder jeden, letztlich aber meistens nur sich selbst übertölpelt, wird charakteristisch bleiben für alle weiteren Filme.
Konstant überfordert, verheddern sich die Protagonisten hoffnungslos in ihr Schicksal. So gerät auch die Kindsentführung durch einen Kleinganoven und dessen Polizistinnen-Gattin in Raising Arizona unweigerlich zum Fiasko. Es ist vielsagend, wenn die Kamera in einer der verrücktesten Szenen des Films knapp über der Erde herumwuselt, wie es die Coens von ihrem alten Schulfreund, dem Horrorfilmer Sam Raimi und dessen wilden Bildern in The Evil Dead gelernt haben: Analog den entfesselten Bewegungen der Kamera auf dem Parkett verliert in diesem Film alles und jeder den Boden unter den Füssen. So ist diesen strauchelnden Charakteren das Scheitern immer schon von Weitem anzusehen. Und wo der traurige Untergang doch noch in ein bittersüsses Happy End umgebogen wird, geschieht das weniger, weil es die Logik, als vielmehr, weil es das grosse Herz der Coens oder – wie in No Country for Old Men – der blosse Zufall so wollen.
Vielleicht stellt diese Vorliebe der Filmemacher für Verlierer, die ihre schlechten Startbedingungen nie wettzumachen vermögen, das Gegengewicht dar zur eigenen, privilegierten Herkunft. Als Söhne eines Professorenpaars – sie Kunsthistorikerin, er Ökonom – wurde dem Gespann offenbar in die Wiege gelegt, was man braucht, um im amerikanischen Filmgeschäft solch eigenwilliges Kino zu machen: Kunstsinn verschwistert mit ökonomischem Geschick. Letzteres mag auch vereinzelte Abstecher in seichteres und damit weniger riskantes Comedy-Gewässer erklären. Um in Hollywood gewagte Experimente finanzieren zu können, muss man zuweilen mit Narrensicherem Kasse machen. Doch irrt sich, wer meint, die Coens hätten Kreativität und Kalkül untereinander aufgeteilt. Das Gegenteil ist der Fall, auch wenn in den Credits früherer Filme Joel als Regisseur und Ethan als Produzent genannt werden. Gewerkschaftsregeln hatten es verboten, ein Doppelgespann für die Regie anzugeben, und so war man darauf verfallen, wenigstens zum Schein die Funktionen aufzuteilen. In Wahrheit haben die beiden schon immer alle Aspekte des Filmemachens brüderlich geteilt. Kino ist für die Coens eine familiäre Angelegenheit. Und dies nicht nur hinter, sondern auch vor der Kamera: Die Schauspielerin Frances McDormand, die 1984 in Blood Simple debütierte, hat im selben Jahr Joel Coen geheiratet und ist damit nicht nur im übertragenen Sinn, sondern ganz konkret Mitglied des Coen-Clans.

Durchs Licht ins Dunkel
So glücklich und ertragreich das Familienleben für die Coens offensichtlich ist, so verrottet erscheint es in ihren Filmen, in denen Ehepaare sich andauernd betrügen und meist auch noch um die Ecke zu bringen versuchen. So sonnig der Coens eigenes Gemüt auch sein mag, in ihrem Kinouniversum ist das Leben meist zappenduster. Nicht umsonst hegen die Filmemacher zum Film noir und dessen fatalen Geschichten eine besondere Liebe. Der Gangsterfilm Miller's Crossing mit Gabriel Byrne, einem traurigen Helden zwischen den Fronten rivalisierender Gangs, könnte auch vom Noir-Maestro Dashiell Hammett verfasst worden sein. In der Tat haben dessen Erzählungen «The Glass Key» und «Red Harvest» den Film mit reichlich Inspiration versorgt, wie die Filmemacher bereitwillig zugaben. Doch in der «Adaption» durch die Coens wird aus den Vorlagen etwas gänzlich Neues. So bekommt etwa der hardboiled Kriminalroman einen kräftigen Schuss Surrealismus ab: Wenn zu Beginn von Miller's Crossing ein Hut einsam durch den Wald fliegt, mag einem das zu Recht bekannt vorkommen. Man denkt dabei an die herumfliegenden Melonen aus dem berühmten Experimentalfilm Vormittagsspuk des Dadaisten Hans Richter. Und auch in The Man Who Wasn't There fliegt am Ende das Surreale in Form eines Raumschiffs mitten hinein ins akribisch nachgebaute Noir-Universum und sprengt dieses in die Luft. Groschenromane und Dada-Experiment, Film noir und surreale Komik: Für die Coens existieren Genres nur, damit man deren Grenzen überschreiten kann. So verlegen sie in O Brother, Where Art Thou Homers Odyssee an den Mississippi zur Zeit der Weltwirtschaftskrise und verwandeln die strahlenden Heroen der Antike in drei Hinterwäldler. Aber auch jüngere Klassiker bürsten sie gegen den Strich. So hatten die Coens am verstörenden Roman «No Country for Old Men» des amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy deswegen so Spass, weil sie im Buch des Pulitzerpreisträgers nicht nur hohe Literatur, sondern auch den Groschenkrimi erkannten. So fallen nicht nur die Antihelden in den Coen-Geschichten über ihre eigenen Füsse, auch die Geschichten selbst und deren Genres verstolpern sich.

Belohnte Risikofreude
Diese Liebe zu Brüchen in Storys, Genres und Figuren birgt freilich ein Risiko. So droht zuweilen die Handlung sich ganz zu versprengen in einem Reigen aus skurrilen Szenen und Charakteren. Die Konstruktion des Films als Ganzes droht den verrückten Details geopfert zu werden. Doch auch dieses Scheitern wissen die Coens zum Erfolgskonzept zu drehen: So sind ausgerechnet jene Filme, in denen das Scheitern des Erzählens selbst zum Thema gemacht wird, die schönsten, ja perfektesten Filme der beiden. In The Big Lebowski bleibt am Ende nichts übrig als ihr versiffter Protagonist Jeffrey «The Dude» Lebowski. Die Entführungsgeschichte aber, mit der man dem Publikum diesen Verlierer als Hauptfigur untergejubelt hatte, verpufft am Ende restlos und alle Handlungsfäden führen ins Nichts. Der Film funktioniert wie die Joints, welche sich die Hauptfigur regelmässig ansteckt: Alles nur Dunst – aber ein verflucht guter.
Im Opus magnum Barton Fink schliesslich wird der Schreibstau eines Drehbuchautors kurzerhand zur eigentlichen Handlung des Films. Der Autor, dieser offensichtliche Verwandte von Franz Kafkas gequälten Angestellten, kommt über die erste weisse Seite nicht hinaus, während bereits die Tapete von der Zimmerwand blättert. Der arme Wurm von einem Künstler verpuppt sich und das klaustrophobische Hotelzimmer wird zum Kokon. Doch zu guter Letzt reicht es Barton Fink doch noch zum Kunstwerk, allerdings anders als erwartet: In der letzten Szene des Films sitzt er selbst unvermittelt in jenem Bild, das während des ganzen Films höhnisch über seiner Schreibmaschine gehangen hat. Der Autor hat keine Kunst geschaffen, er ist selbst zum Kunstwerk geworden. So haben die Coens anhand eines unfähigen Schreibers einen ihrer virtuosesten Filme geschrieben: eine schöne Paradoxie. Solches Scheitern will gelernt sein.
Johannes Binotto

Johannes Binotto (*1977) schreibt über filmhistorische Themen, u. a. für die NZZ und das Filmbulletin. Er leitet zudem seit einigen Jahren ein Seminar zum Thema «Film und Psychoanalyse» am Zürcher Lacan-Seminar.