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Reedition: Theater der Finsternis

Im Niemandsland zwischen Mexiko und den Vereinigten Staaten: Zwei Undercover-Agenten geraten bei ihren Ermittlungen gegen eine Schlepperbande in lebensbedrohende Schwierigkeiten. Anthony Mann hat mit seinem Kameramann John Alton 1949 einen unerbittlich düsteren Thriller geschaffen, dessen Thematik erstaunlich aktuell ist. Im sonnigen Südkalifornien hat sich die Wüste rund um den All-American-Kanal in den Garten Eden gewandelt; mehr denn je schreit die Ernte nach Arbeitern, die das Land bewirtschaften. Jenseits der amerikanischen Grenze warten derweil mexikanische braceros, billige Arbeitskräfte, hinter einem hohen Gitterzaun ausdauernd auf ihre Arbeitsbewilligung – oder klettern illegal über die Grenzabschrankungen. Eine etwas schwülstige Erzählstimme erklärt uns diese Welt mit ihren Einwanderungsschwierigkeiten. Schnitt, und eine zweite Einführung folgt, diesmal ohne Off-Stimme: Wir befinden uns inmitten der nächtlichen Wüste und sehen Mitglieder einer Schlepperbande, wie sie mexikanische Grenzgänger bei ihrer Rückkehr ausrauben, ihnen die Kehlen durchschneiden und ihre Körper im schwarzen Treibsand des Cañon de la Muerte versinken lassen. Nach diesen zwei konträren Prologen folgt abermals ein Schnitt – jetzt kann die eigentliche Geschichte beginnen. Bei einer Zusammenkunft amerikanischer und mexikanischer Behörden beschliesst man eine gemeinsame Undercover-Aktion mit je einem Repräsentanten beider Staaten, um dem unmenschlichen Treiben an der Grenze ein Ende zu bereiten. Pablo Rodriguez, ein Fahnder der mexikanischen Polizei, wird sich als bracero in den Schlepper-Killer-Ring einschleusen lassen, Jack Bearnes, ein FBI-Inspektor, soll ihm dabei auf den Fersen bleiben. Doch schon bald muss Bearnes selbst eine kriminelle Identität annehmen, um Rodriguez' Haut zu retten.
Border Incident war Anthony Manns erster Film bei MGM. Der amerikanische Regisseur beendete mit diesem Grenz-Thriller seine Film-noir-Periode; im folgenden Jahrzehnt sollten seine berühmten Western entstehen, in den Sechzigern seine monumentalen Epen. Border Incident markiert einen Wendepunkt in Manns Schaffen, der Film ist nicht mehr «nur» Noir und noch nicht ganz Western. Ein ungewöhnliches Werk für seine Zeit und für MGM, ein Film, der die Kälte und Brutalität moderner Thriller vorwegnimmt und der in seinem weitsichtigen sozialen Engagement ähnlich brisant ist wie die aktuellen Filme Babel oder The Three Burials of Melquiades Estrada.
Es geht um den Kampf gegen das Böse in einer Unterwelt, in der weder Gesetze noch Menschen zählen. John Alton fängt diesen Kampf in gespenstisch-düsterem Schwarzweiss ein. Seine «Sprache des Schattens», zerfurchte Gesichter in Grossaufnahme und ausgefallene Kamerapositionen, unterstreichen das Albtraumhafte. Was diese finsteren Bilder bereits evozieren, wird den beiden Agenten erst allmählich bewusst: Der Abstieg ins Herz der Dunkelheit ist weit gefährlicher als erwartet und wird den einen das Leben kosten. Anthony Mann bricht dabei mit den Hollywood'schen Konventionen und verleiht der Mordszene nachhaltige Schärfe: In einer eindrücklichen Schnittabfolge sehen wir den Mord aus den Augen des Todgeweihten, begleitet von einem aggressiven Motorenton – bis heute haben diese Bilder nichts von ihrer Grausamkeit verloren.
Wenn uns zum Schluss die Erzählstimme in einem Wochenschau-ähnlichen Epilog versichert, dass der «American Way of Life» alle Ungerechtigkeit aus der Welt geschafft habe und die Ordnung wieder hergestellt sei, hegen wir berechtigte Zweifel – Manns tiefschwarzer Film hat genau dies schonungslos in Frage gestellt.
Tanja Hanhart