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Alfred Hitchcock: Suspense, Ironie und Romantik

Unsere Neuvermessung des Universums Hitchcock im Rückwärtsgang bewegt sich im zweiten Teil von ersten Hollywood-Meisterstreichen wie Shadow of a Doubt, Suspicion und Rebecca zu den britischen Krimiklassikern der dreissiger Jahre. Gegen Ende der Retrospektive sind einige rare Leckerbissen der frühen Ton- und späten Stummfilmzeit zu sehen. Mehr als ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod ist Alfred Hitchcock noch immer der berühmteste aller Regisseure. Das liegt zum einen an seiner Virtuosität als Filmemacher, insbesondere seiner Vollendung der Thrillerform – Hitchcock zeigt das Spannungskino als eine «Maschine», mit der das Kino über sich selbst nachdenken kann. Seine Serie von Meisterwerken auf diesem Gebiet ist beispiellos: von The 39 Steps (1935) und Sabotage (1936) über Shadow of a Doubt (1943) und Notorious (1946) bis zu Vertigo (1958) und Marnie (1964). Andererseits verdankt sich Hitchcocks Aufstieg zum ultimativen Kinomythos auch seinem eigenen Sinn für Publicity und einem Paradigmenwechsel in der Filmkritik der fünfziger und sechziger Jahre: Er war das «populäre Genie», der ideale «auteur» inmitten der Massenproduktion des Hollywood-Systems.
Für Jean-Luc Godard hat Hitchcock mit seiner detailversessenen Inszenierungskunst, die das Publikum ganz und gar einspinnt, «le contrôle de l’univers» erreicht. Diese Rolle als Herrscher über unser Kinobewusstsein, als «master of suspense», prägt bis heute die Vorstellung von Alfred Hitchcock. Unsere reichhaltige Retrospektive ermöglicht es aber auch, insbesondere im vorliegenden Teil II, jenseits der offiziellen Meisterwerk-Geschichte die faszinierenden Abwege und Sackgassen seiner Karriere zu verfolgen und jene Fremdeinwirkungen zu studieren, die er selbst gerne herunterspielte.
Letztere finden sich schon im frühen Schaffen des 1899 in London geborenen, streng jesuitisch erzogenen Alfred Joseph Hitchcock. Er beginnt 1920 bei Famous Players-Lasky als Gestalter der Zwischentitel und erarbeitet sich bald anspruchsvollere Funktionen. Alma Reville, seine spätere Ehefrau (und bis zuletzt wichtigste Mitarbeiterin seiner Filme), ist als erfahrene Cutterin und «story editor» mitverantwortlich für seinen raschen Aufstieg im Studio. Mit der deutsch-englischen Koproduktion The Pleasure Garden gibt er 1925 sein offizielles Regiedebüt – sein enger Kontakt zur UFA und zum deutschen Filmexpressionismus prägt aber Hitchcocks gesamtes (und überaus vielfältiges) Stummfilmschaffen. Der nebelverhangene Krimi The Lodger (1927) gilt angesichts der «typischen» Thematik als sein erstes Hauptwerk, doch Hitchcocks reifster Stummfilm ist wohl das Boxermelodram The Ring (1927). Mit dem ursprünglich stumm konzipierten Blackmail schafft er 1929, unter Einsatz charakteristischer Wechselspiele zwischen Bild und Ton, einen fliessenden und erfolgreichen Übergang zum Tonfilm.
Die Übergangszeit der frühen dreissiger Jahre bietet überraschende – weil scheinbar untypische – Hitchcockiana. 1934 dann dreht Hitchcock die packende Erstversion von The Man Who Knew Too Much mit Peter Lorre – und beginnt damit jenen Zyklus britischer Krimiklassiker, die ihn weltweit bekannt machen: The 39 Steps (1935), Sabotage, Secret Agent (1936), Young and Innocent (1937) und The Lady Vanishes (1938). Das kostbare Gemisch aus Suspense, Ironie und Romantik, das bei diesen Filmen in unterschiedlicher Dosierung zum Einsatz kommt, erregt auch in Hollywood Aufsehen, und David O. Selznick gelingt es, Hitchcock für einen Mehrjahresvertrag zu gewinnen. Mit dem gefeierten «britischen» Schauermelodram Rebecca (1940) erobert er sofort das US-Publikum – und legt eine Reihe brisanter zeitpolitischer Spionagethriller nach. Trotz aller Kontroversen mit Selznick dreht Hitchcock in diesen Jahren einige seiner grössten künstlerischen Erfolge, auf dem Terrain der Screwball Comedy (Mr. and Mrs. Smith) ebenso wie mit den Thrillern Suspicion oder Shadow of a Doubt, einem mörderischen Doppelspiel in täuschend idyllischer Provinz, das bis zuletzt sein eigener Lieblingsfilm blieb.
(Aus dem Programmheft des Österreichischen Filmmuseums)
(aus dem Programmheft des Österreichischen Filmmuseums Wien mit bestem Dank für die Abdruckerlaubnis)