Nüschelerstrasse 11, 8001 Zürich - 044 415 33 66

< Zurück

Jack Nicholson: Der Charme des Unverschämten

Sein diabolisches Grinsen ist längst Markenzeichen, seine Dreistigkeit Legende. Doch Jack Nicholson war als Schauspieler, Drehbuchautor und Regisseur auch Miterfinder des Neuen Hollywoodkinos der sechziger Jahre. Und unvergesslich sind seine Auftritte in Siebziger- und Achtzigerklassikern wie Chinatown, One Flew Over the Cuckoo’s Nest oder The Shining. Unsere Werkschau spiegelt Nicholsons schillernde Persönlichkeit und Karriere an gut zwanzig seiner besten Arbeiten. Das Beste kommt zum Schluss heisst sein jüngster Film in der deutschen Synchronfassung, und man kann nur hoffen, dass er diesen Titel mit seinem berühmten Haifischgrinsen kommentiert hat, weil er und Morgan Freeman, die beiden Siebzigjährigen, sich einen kleinen Spass erlaubt haben, als sie The Bucket List (so der Originaltitel) aufstellten, die Liste all der Dinge, die sie noch tun wollen, bevor sie sterben. Man wüsste allerdings schon gerne, welche Rollen Jack Nicholson noch spielen will, denn als moribunden und millionenschweren Rentner, der nach finaler Läuterung strebt – so möchte man ihn lieber nicht in Erinnerung behalten.
Dennoch ist es aufschlussreich, die Chronologie seiner Karriere rückwärts zu betrachten. Dass er praktisch tun und lassen kann, was er will, und dabei doch immer Jack bleibt, dass er als phobiengeplagter Autor in As Good As It Gets (1997) sein Macho-Image auf den Kopf stellen kann und dafür auch noch einen Oscar bekommt, beschreibt ziemlich exakt den Status, den er sich über die Jahrzehnte erworben hat. Er kann sich auch, wie in About Schmidt (2002), in der trostlosen Mittelmässigkeit eines pensionierten Versicherungsangestellten häuslich einrichten, dabei ungewohnt verschämt mit der offenherzigen Kathy Bates im Hot Tub sitzen – und überzeugt gerade deshalb, weil nichts unserem Bild von Jack Nicholson ferner ist als ein Mann wie Warren Schmidt.
Er muss gar nichts mehr beweisen, er kann mit einer Unbekümmertheit, wie vielleicht nur Marlon Brando es konnte, in Filmen mitspielen, die sein grosses Ego zu sprengen drohte. Er liefert dann so etwas wie einen Extrakt, ein ironisches Best-of seiner Rollen, er ist freigiebig mit seinen kleinen Manierismen, weitestgehend ungehindert von der Regie. Nicht einmal Martin Scorsese hat ihn bremsen können (oder wollen), in The Departed (2006), wenn Jack seine Rolle trägt wie ein altes Sakko, das nicht mehr modisch ist, das auch nicht mehr besonders gut sitzt, aber von dem er sich einfach nicht trennen kann, weil es ihm gefällt. Er geniesst diesen diabolischen Auftritt sichtlich, wenn er als alter Gangster im Halbschatten agiert und in den Film einführt wie ein maliziöser Cicerone. Er lässt genüsslich seine voluminöse Stimme ertönen, und er spricht mit diesem wissenden Ton, als wäre er der Teufel persönlich, den er nur einmal gespielt hat: bezeichnenderweise als Parodie in The Witches of Eastwick (1987).

Der Teufel, möglicherweise
Jack Nicholson, der am 22. April 71 wird, lässt einen immer wieder sein Alter vergessen. Man ist fast erstaunt, dass er schon 44 war, als er sich in The Postman Always Rings Twice (1981) mit animalischer Energie Jessica Lange näherte, und 53, als er den Privatdetektiv Jack Gittes zum zweiten Mal spielte in The Two Jakes (1990). Er hat sich da noch immer diese charmante Unverschämtheit bewahrt, mit der er in Chinatown (1974) einen schmutzigen Witz erzählt, während wir eine indignierte Faye Dunaway in seinem Rücken sehen. Und es ist ihm auch nur mässig peinlich, wenn er sich umdreht und ihr ins Gesicht blickt.
Sobald er auftritt, strahlt er, auch ohne Grinsen und Sonnenbrille, eine gewisse Überheblichkeit aus; eine Dreistigkeit wie in The Missouri Breaks (1976), wenn er nicht ohne Sadismus ein paar Löcher in die Holzwanne schiesst, in der Brando sein imponierendes Körpermassiv wässert. Jack Nicholson kann noch immer gefährlich wirken, selbst wenn Sakko- und Hosengrösse beträchtlich gewachsen sind, seit er Mitte der sechziger Jahre als schlanker junger Mann mit Monte Hellman in die Wüste Utahs zog, um die beiden Beckett-Western The Shooting und Ride in the Whirlwind zu drehen. Und wenn er sich mal onkelhaft gibt, ahnt man hinter all der Jovialität noch immer den Mann, der sehr ungemütlich werden kann – er ist der Onkel, den man auch lieber nicht zur Familienfeier einlädt, weil er sich vermutlich zu intensiv mit den jungen Mädchen beschäftigt.
Was andere ruiniert hätte, hat seine Karriere unberührt gelassen: die ewigen Klatschgeschichten, die vielen Frauen, die kleinen Entgleisungen. Und als das Magazin «Time» enthüllte, seine Grossmutter habe sich als seine Mutter ausgegeben und seine Mutter als seine grosse Schwester, weil sie erst 17 war, als er zur Welt kam, hat er auch das überstanden. Dieses Selbstbewusstsein, oft von Selbstgefälligkeit kaum zu unterscheiden, ist die Grundlage der Härte, die er demonstrieren kann. Er verkörpert eine Grosskotzigkeit, die selten bestraft wurde, und eine Unabhängigkeit, die einen Dreck darauf gibt, was die Leute von ihm denken. Das war schon so in Five Easy Pieces (1970), als er auf die Ladefläche eines Lastwagens kletterte, sich dort an das Klavier setzte und spielte, als sässe er im Konzertsaal. Er hat auch sehr genau den Zeitpunkt erfasst, ab dem man als zorniger junger Mann lächerlich wirkt, und das Rebellentum durch ein sardonisches Lächeln und eine unverhohlene Verachtung des Konventionellen ersetzt.

Die vielen Jacks, der eine Jack
Mir ist der Jake Gittes in Chinatown seine liebste Rolle, weil er da schliesslich doch einmal eine leichte Verletzlichkeit zeigt; aber vielleicht ist es auch nur die Fassungslosigkeit darüber, dass er, der smarte, lässige, zynische Schnüffler, in John Hustons Patriarchen Noah Cross seinen Meister findet. Er verliert nicht nur das Spiel, er ist wirklich angezählt, weil da jemand eine Nummer zu gross für ihn ist. Das ist eine Erfahrung, die Jack Nicholson selten machen musste im Kino. Denn selbst wenn der Wahn ihn im Griff hat, wie in Stanley Kubricks The Shining (1980), dann hat er eine raumgreifende Präsenz, etwas so Dämonisches, dass man ihn fürchten muss, weil die Bedrohlichkeit, die von diesem Jack Torrance ausgeht, sich seither nie mehr ganz verloren hat. Als könnte er jederzeit wieder in den markerschütternden Ruf «Here comes Johnny» ausbrechen, selbst als zwielichtiger Gewerkschaftsboss in Hoffa (1992) oder als Killer in Prizzi’s Honor (1985), in dem der schwarze Humor seine Gefährlichkeit nur geringfügig dämpft.
Ob man sie nun vom Ende her betrachtet oder vom Anfang, es ist und bleibt eine einzigartige Karriere: aus Roger Cormans B-Movie-Welt über Easy Rider (1969) zu Professione: Reporter (1975) zu kommen, um sich in den Joker in Batman (1989) zu verwandeln, eine grelle, cartoonartige Rolle, mit der Nicholson mehr als 50 Millionen Dollar verdiente. Und dieser in all seinen Facetten schillernde Jack, er hätte noch mal einen Auftritt verdient, der ihn nicht als Cartoonversion seiner selbst erscheinen lässt, auch wenn er sich vermutlich bei diesen Travestien bestens amüsiert. Er hat jetzt, in manchen Interviews, noch einmal von dem dritten Teil zu Chinatown gesprochen, und nach all diesen grossen Rollen wäre, wenn man sich etwas wünschen dürfte, ein Jake Gittes im Rentenalter genau das, was man von ihm unbedingt noch sehen möchte.
Peter Körte

Peter Körte ist leitender Redaktor im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und hat Bücher über Tarantino, die Coen Brothers und Hedy Lamarr geschrieben.