Nüschelerstrasse 11, 8001 Zürich - 044 415 33 66

< Zurück

Howard Hawks: Lieblingssport: Geschichten erzählen

Howard Hawks hat zwischen 1926 und 1970 fast fünfzig Filme gedreht und wurde zum Inbegriff des coolen Professionals der Hollywood-Studioära: erzählerisch effizient, inszenatorisch hoch versiert, im Western genauso zu Hause wie in der Screwball-Komödie, im Abenteuer- und Gangsterfilm. Wohl entdeckten ihn die Kritiker der «Cahiers du cinéma» spät noch als «Autor», doch seine Filme bleiben in erster Linie rasante, urkomische, hochspannende Unterhaltung. Nachdem das Filmpodium in den letzten Jahren mit John Ford, Alfred Hitchcock und Raoul Walsh drei der in den 1890er Jahren geborenen Grössen Hollywoods vorgestellt hat, drängte sich eine Retrospektive der Filme von Howard Winchester Hawks (1896–1977) förmlich auf. Gemeinsam ist diesen Regisseuren neben der Generationszugehörigkeit, dass sie das klassische Hollywoodkino in Reinkultur verkörperten: Sie prägten es so stark, wie sie von ihm geprägt waren.

Einfachheit als Prinzip
Galt Hawks in Amerika schon früh als Inbegriff des «Hollywood professional», was grossen Respekt ausdrückte, hielt man ihn in Deutschland lange für einen «guten Handwerker», was zwar teilweise für dieselben Qualitäten steht, aber eher abwertend gemeint war. Seinen festen Platz im internationalen Pantheon der Filmgeschichte wiesen ihm schliesslich die Franzosen zu: André Bazin und die Kritiker der «Cahiers du cinéma» erkoren Mitte der fünfziger Jahre Hawks neben Alfred Hitchcock zu einer zentralen Figur ihrer «politique des auteurs». Jacques Rivette arbeitete in seinem Artikel «Génie de Howard Hawks» die Gemeinsamkeiten zwischen Hawks' vordergründig so unterschiedlichen Komödien und Abenteuerfilmen heraus – nicht ohne Seitenhiebe auf jene, die sich der «Evidenz der Hawks'schen Genialität» verweigerten.
Die alten Polemiken wären der Erwähnung nicht wert, zeigte sich an ihnen nicht exemplarisch, was Hawks, seine Filme und sein Selbstverständnis charakterisiert. Zu Letzterem gehört auch, dass Hawks sich in späteren Jahren gerne über die Franzosen mockierte, die ihn zum Filmkünstler erklärten, wo er sich doch nur als effizienter Geschichtenerzähler verstanden habe – ein wirkungsbewusst gesetztes Moment des Understatements in Hawks' sonst eher auftrumpfenden Selbstdarstellungen.
Auf die Kunst des «storytelling» verstand sich Hawks tatsächlich. Nach einem Ingenieurstudium hatte er in Hollywood als Hilfsrequisiteur begonnen und avancierte rasch zum Verfasser von Zwischentiteln für Stummfilme, dann zum Drehbuchautor. Mit 29 Jahren konnte er erstmals Regie führen. Früh entschied er sich dafür, seine Geschichten geradlinig zu erzählen, ohne Rückblenden oder Verschachtelungen, was ein nicht unbedeutendes Element des Erfolgs beim breiten Publikum werden sollte.
Demselben Prinzip der grösstmöglichen Einfachheit folgte seine Konzeption der Kameraarbeit: Die Kamera bleibt auf Augenhöhe; ausgefallenere Kamerastandorte und Blickwinkel kommen für Hawks höchstens in Frage, wenn sie durch die Optik der handelnden Figuren motiviert sind. Kamerabewegungen setzt er nur ein, wenn sie narrativ zwingend sind, z. B. eine Fahrt auf ein Objekt zu, wenn der Zuschauer dieses genauer sehen will und soll. Mit diesen einfachen, aber effizienten Grundsätzen trug Hawks wohl ebenso zur Entwicklung der ästhetischen Doktrin des klassischen Hollywoodkinos bei, wie er ihr entsprach: der Unauffälligkeit der eingesetzten gestalterischen Mittel, die den Zuschauer die Vermittlung durch das technische Medium vergessen lassen sollte zugunsten eines ungebrochenen «Miterlebens».

Autor mit unsentimentalem Blick
Hawks' (gespielte) Überraschung, als «auteur» geadelt worden zu sein, kontrastiert auffällig mit jenem hohen Mass an Kontrolle, das er im sonst so arbeitsteiligen Hollywood über seine Filme auszuüben trachtete: Früh schon zeichnete er auch als Produzent für seine Filme verantwortlich und fast immer – wenn auch meist ohne Nennung im Vorspann – beteiligte er sich entscheidend an der Erarbeitung des Drehbuchs. Auch entsprach er nicht dem Standardtypus des professionellen Hollywoodregisseurs, der sich ebenso strikte ans Drehbuch wie an den Drehplan hält. Vielmehr schrieb Hawks immer wieder einzelne Szenen um und feilte beim Drehen noch an Handlung und Dialogen, so dass er bei den Produktionsfirmen verschrien war, weil seine «Undiszipliniertheit» die Drehzeit und damit die Kosten jeweils wachsen liess. Dies wie sein Drang nach Unabhängigkeit führte dazu, dass er nie lange für dasselbe Studio arbeitete; diese relative Freiheit verdankte er dem Erfolg der meisten seiner Filme.
Anders als bei Hitchcock, für den der «suspense» zum Markenzeichen wurde, ist Hawks' Werk nicht von einer leicht wiedererkennbaren Filmart dominiert: Er wurde bekannt mit einem Gangsterfilm (Scarface), wurde zum Mitbegründer der Screwball-Comedy (Bringing Up Baby, His Girl Friday), drehte Kriegs- und Fliegerfilme ebenso wie den Bogart-Noir The Big Sleep und galt später als Westernspezialist. Selbst die Kontinuität der Thematik durch unterschiedlichste Genres und Tonlagen hindurch, wie sie Rivette betonte, springt nicht so sehr auf der Ebene der Storys ins Auge, sie lässt sich dafür umso frappanter in den erzählerischen Details und in der Charakterisierung der Figuren belegen.
Hawks' Grundhaltung war eine distanzierte Nüchternheit, der jegliche Sentimentalität fremd war. Action wird von Hawks, der selbst Autorennfahrer, Flieger und passionierter Jäger war, erstaunlich sparsam eingesetzt und ist bei ihm kaum je Selbstzweck, sondern dient dazu, die beteiligten Figuren zu charakterisieren. Im Zentrum seiner Gangster-, Flieger-, Kriegs- und Abenteuerfilme steht jeweils eine Gruppe von Männern, vordergründig gesehen harten Professionals. Doch deren abgebrühtes Auftreten wird immer wieder relativiert durch komische Szenen oder ihr Verhalten Frauen gegenüber.

Freche Frauen, unreife Männer
In den Komödien tritt die Gruppe zurück und die Helden sind, in ihrem Fach, zwar auch Profis, doch genregemäss werden ihre Defizite stärker betont: Ob Paläontologe, Chemiker, Enzyklopädist oder Verkäufer, sie leben meist in einer abgeschotteten Parallelwelt, und die Komik resultiert aus ihrer Konfrontation mit ungeahnten Realitäten, meist verkörpert durch eine Frau. Die typische Hawks'sche Frauenfigur ist unkonventionell, selbstbewusst und in erotischer Hinsicht initiativer als ihre männlichen Gegenspieler – ein Grundzug, der in Zeiten der strengen «decency»-Kontrolle von provokativer, heute kaum noch zu ermessender Frechheit war , der diese Figuren jedoch mit Sicherheit besser altern liess als die meisten Frauenbilder des damaligen Hollywoodkinos.
Konventioneller mögen auf den ersten Blick viele seiner Männerrollen erscheinen, doch vom draufgängerischen Matrosen in A Girl in Every Port bis zum Sportgeräteverkäufer in Man's Favorite Sport werden sie alle subtil demontiert. Diese beiden Figuren z. B. können nicht schwimmen: Man achte etwa darauf, wie viele von Hawks' Männerfiguren in der Begegnung mit der Natur versagen. Gesteigert findet sich das wieder in ihrer (maskierten, dann entlarvten) Unreifheit den Frauen gegenüber.
Rivettes Behauptung von der «Evidenz» wäre zumindest in diesem Punkt einzuschränken: Zum einen stiessen Hawks und seine Drehbuchautoren immer wieder an Zensurgrenzen und wurden mit der Zeit zu Meistern in deren subtiler Umgehung (es lohnt sich, Augen und Ohren offenzuhalten für Sexualsymbolik!). Zum anderen erscheinen manche seiner Figuren und Handlungselemente anfänglich eher platt und dick aufgetragen, weil die Klischees erst nach und nach unterwandert werden. Deshalb erschliessen sich Hawksfilme – nicht trotz, sondern wegen ihrer scheinbaren Evidenz – oft weniger in der unmittelbaren Rezeption als im Nacherzählen und Nachdenken, und steigert sich das Vergnügen an ihnen bei jedem Wiedersehen.
Martin Girod