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Germania, anno zero

Vom 22. August 1946 bis zum 13. August 2016. Von And Then There Were None von René Clair, an der damaligen Erstausgabe von den anwesenden Journalisten preisgekrönt, bis zu Godless von Ralitza Petrova: Das Festival del film Locarno hat 70 Jahre lang das Kino durch die Geschichte begleitet, wusste mit der Zeit zu gehen, war ihr manchmal sogar einen Schritt voraus. Nicht immer waren die Gewinner tatsächlich die Besten ihres Jahrgangs – doch die Zeit bringt manches wieder ins Lot. Immer wieder hatten die Jurys den richtigen Riecher und zeichneten herausragende Filme aus, die es sich lohnt wieder anzuschauen, auch wenn sie inzwischen allseits bekannt sind. Deshalb haben wir beschlossen, sieben goldene Pardi auszuwählen, die für die Geschichte des Festivals und des Kinos eine symbolische Bedeutung haben, die mehr durch ihre Sprache denn durch ihren Inhalt bestechen, die eine Realität nicht nur filmen, sondern sie formen, die genügend Kraft besitzen, um die Gegenwart zu überfliegen. Es sind vielleicht nicht die besten sieben Filme der ganzen Festivalgeschichte – die persönlichen Geschmäcker gehen bekanntlich auseinander –, aber sie sind bezeichnend für die jeweilige Epoche und zeigen, dass das Festival immer auch eine Entdeckungsreise ist: Der italienische Neorealismus von Rossellini, das Genie eines Kubrick und seines Film noir, das junge Schweizer Kino von Tanner, die Entdeckung von Zanussi, der zu den grossen Regisseuren der Neuen Welle im Osten zählt, oder jene des einzigartigen südkoreanischen Films Warum Bodhi-Dharma in den Orient aufbrach?, der in Cannes gezeigt, aber nicht beachtet worden war und nach dem Preis von Locarno durchstartete, sowie abschliessend zwei Werke jenes Kinos, das von der Realität ausgeht und sie aus moralischer und ethischer Sicht beleuchtet: Ayneh (Der Spiegel) des Iraners Jafar Panahi und Private des Italieners Saverio Costanzo.

Roberto Rossellini (Italien/Deutschland 1948)

Sommer 1945, kurz nach der deutschen Kapitulation, im zerbombten Berlin. Die Familie Koehler – die Mutter ist gestorben, der Vater todkrank – schlägt sich mehr schlecht als recht durch. Die Tochter besorgt den Haushalt und geht nachts in Bars; der ältere Sohn war Soldat und hat Angst, ins Gefängnis gesteckt zu werden. Der jüngere Sohn, Edmund, ist 12 Jahre alt und nicht mehr Kind, wird aber von den Erwachsenen nicht für voll genommen. In den Trümmern der Stadt macht er Erfahrungen mit Habgier und Gewalt, Sex und Tod. Sein früherer Lehrer bringt Edmund mit seinem nazistischen Gerede vom Überleben der Starken auf die Idee, seinen kranken Vater aus der Welt zu schaffen.
«Der wohl aufwühlendste und nihilistischste Teil von Roberto Rossellinis Kriegstrilogie. Germania, anno zero ist ein bitteres Porträt der Entmenschlichung und des sozialen Zerfalls. Der Film entstand kurz nach dem unerwarteten Tod von Rossellinis kleinem Sohn Romano 1946, und die Hauptfigur Edmund wird zu einem tragischen Symbol für nationale Schuld und privaten Schmerz: die Verkörperung verlorener Unschuld; die Ungewissheit tiefgreifenden Wandels; die Schuld der Überlebenden; die scheinbare Hoffnungslosigkeit der Zukunft. Im Grunde ist Edmund, der durch die verwüstete Ödnis des Nachkriegs-Berlin streift, nicht nur ein Sinnbild für den unversöhnten Geist des deutschen Volkes, sondern auch für Rossellinis Versuch, seinen eigenen Verlust zu bewältigen.» (Acquarello, filmref.com 2001)
Goldener Leopard 1948

Drehbuch: Roberto Rossellini, Carlo Lizzani
Kamera: Robert Juillard
Musik: Renzo Rossellini
Schnitt: Eraldo Da Roma

Mit: Edmund Meschke (Edmund Koehler), Ernst Pittschau (Edmunds Vater), Ingetraud Hinze (Eva, Edmunds Schwester), Franz Krüger (Karl-Heinz, Edmunds Bruder), Erich Gühne (Henning, Lehrer)

73 Min., sw, DCP, D/e

Spieldaten


Vergangene Vorstellungen:
Do.,
16.2.2017
15:00
Mi.,
22.2.2017
15:00
Fr.,
24.2.2017
20:45