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Lerchen am Faden
(Skřivánci na niti)

Jiří Menzel, am 5. September nach langer Krankheit im Alter von 82 Jahren verstorben, verband einen Scharfblick für die sozialen und politischen Realitäten der ČSSR mit einer umfassenden Menschlichkeit. Das gilt auch für Lerchen am Faden, eine ironische Parabel über einen Schrottplatz als Umerziehungslager. Menzel drehte diese Komödie nach dem Prager Frühling, doch nach dessen Unterdrückung wurde der Film verboten. 1990 an der Berlinale uraufgeführt, gewann Lerchen am Faden den Goldenen Bären. (Spieldatum: Sa, 12.9.2020, 15 Uhr)

Am 5. September ist nach langer Krankheit Jiří Menzel verstorben. Der 1938 geborene Tscheche wurde als Vertreter der Neuen Welle der ČSSR 1966 ins Rampenlicht katapultiert, als er mit seinem ersten Spielfilm Ostře sledované vlaky bzw. Scharf beobachtete Züge/Liebe nach Fahrplan einen Oscar errang. Von Anfang an verband Menzel einen Scharfblick für die sozialen und politischen Realitäten seiner Heimat mit einer umfassenden Menschlichkeit, die selbst die Machthaber des kommunistischen Staatsapparats als ebenso fehlbare wie verletzliche Zeitgenossen darstellte; oft verwendete er als Vorlagen für seine ernsten Komödien die ironischen Erzählungen seines Seelenverwandten Bohumil Hrabal, des wichtigsten Autors der tschechischen Gegenwartliteratur. Die strengeren SatirikerInnen in Menzels Umfeld warfen ihm mitunter vor, dass er zu versöhnlich sei, auch, dass er die ČSSR nach dem Einmarsch der Sowjets nicht verliess, aber Menzel war es wichtiger, in seiner Heimat weiterzuwirken, was ihm das Regime freilich schwermachte. Die Ausgewogenheit von Poesie, Ironie und Menschlichkeit macht Menzels Werke zu zeitlosen Parabeln über Macht und Missbrauch und über den schlitzohrigen Widerstand des lebensfrohen Individuums gegen das lebensfeindliche System.

Jiří Menzel (ČSSR 1969)

English text below

«Mitte der fünfziger Jahre. Der Schrottplatz eines Hüttenkombinats bei Kladno dient als Umerziehungslager für ‹bourgeoise Elemente› und Feinde des Systems. Die einstigen Werte – vom Christus am Kreuz bis zur Schreibmaschine – werden zu Maschinen für den sozialistischen Aufbau umgeschmolzen. Einem jungen Koch und einer schönen Strafarbeiterin wird unerwartet die Heirat erlaubt, doch nach einer kritischen Äusserung muss er ins Gefängnis. Ein zwischen poetischer Gestaltung, überzeugender humaner Parteinahme und folkloristischen Momenten angelegtes filmisches Meisterwerk, das mit subtil-subversivem Humor die Fassaden von Politik und Ideologie durchlöchert. Virtuos verbinden sich bissige politische Kommentare mit warmherziger Sympathie für die Menschen.» (film-dienst)
«Närrische Bürokraten und hohlköpfige Parteibonzen werden fast schon zärtlich gehänselt, als wären sie traurige Clowns in schlecht sitzenden Anzügen. Menzel, Humanist und nicht Politiker, ist voller Frohsinn und Mitleid. Er zeigt für die Unterdrücker ebenso viel Verständnis wie für die von ihnen Unterdrückten.» (Rita Kempley, Washington Post, 19.4.1991)
1968–69 während des Prager Frühlings gedreht, wurde der Film kurz darauf verboten und erlebte seine internationale Premiere erst 1990 an der Berlinale, wo er mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde.

"Filmed during Prague Spring in 1968-69, Jiri Menzel's Larks on a String was a movie before its time. But alas, that time seems to have more or less come and gone, like 1984's. An open critique of communist rule in Czechoslovakia, the suppressed Larks finally premiered at the 1990 Berlin Film Festival. Set in a scrap yard in Kladno in the '50s, this whimsically dismal tract foretells the collapse of socialism. A sort of lyric Orwellian burlesque, it predicts that a society founded on the ruins of individual endeavor will not rise above the heap, only rust away. A group of bourgeois dissidents – a weary, mostly middle-aged band of 'class enemies' – is learning the error of its ways at the Kladno dump. A dairyman, a barber, a cook, a philosopher, a lawyer and a saxophonist waste their time and abilities heaving the detritus of the past – crucifixes, typewriters and baby cribs mostly – into the people's smelter. Of course, the steel is weak. Across the scrap heap, a group of would-be defectors cheerfully labor away their prison terms. All women, they are mostly as spirited and young as the men are tired and worn. They also wear eyeliner. When the sexual tension mounts, as it tends to in your Slavic romps, the women manage to enlist their prison guard's help in occasional rendezvous with the men. A romance between the Chaplinesque cook (Vaclav Neckar) and a luminous prisoner (Jitka Zelenohorska) flourishes, and, with the help of a zealous party official (Rudolf Hrusinsky), a proxy marriage is arranged with her granny standing in for her. Foolish bureaucrats and addlepated party leaders are razzed almost tenderly, as if they were sad clowns in ill-made suits. A humanist, not a politician, Menzel is full of mirth and pity. He has as much sympathy for the oppressors as for those they oppress. Best known for his Oscar-winning 1966 film, Closely Watched Trains, Menzel works in that place where tragedy merges with comedy." (Rita Kempley, Washington Post, April 19, 1991)

Drehbuch: Bohumil Hrabal, Jiří Menzel, nach einer Geschichte von Bohumil Hrabal
Kamera: Jaromír Šofr
Musik: Jiří Šust
Schnitt: Jiřina Lukešová

Mit: Václav Neckář (Pavel), Jitka Zelenohorská (Jitka), Vlastimil Brodský (Philosoph), Rudolf Hrušínsky (Gruppenleiter), Vladimír Ptáček (Milchmann), Nad'a Urbánková (Lenka), Leoš Suchařípa (Ex-Staatsanwalt), Ferdinand Krůta (Kudla, Erzähler), František Řehak (Drobeček), Jaroslav Satoranský (Aufseher), Jiřina Štěpničková (Pavels Mutter)

94 Min., Farbe, DCP, Tsch/d/f, J/14

Spieldaten


Vergangene Vorstellungen:
Sa.,
12.9.2020
15:00