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Der Garten im Film

Mehr als blosse Kulisse

Romantischer Zufluchtsort, blühende Utopie und Sinnbild einer modernden Gesellschaft: Im Kino ist der Garten weit mehr als blosse Kulisse. Ergänzend zur Ausstellung «Gärten der Welt» im Museum Rietberg zeigen wir den Garten in seinen diversen filmischen Ausformungen. «Der Garten ist die Urform des cineastischen Sets», hält Nina Gerlach in ihrer Dissertation «Gartenkunst im Spielfilm» fest. In den ältesten erhaltenen Filmfragmenten aus Louis A. A. Le Princes Roundhay Garden Scene (1888) dient er als Hintergrund, und im ersten Film mit fiktionalem Geschehen, der Komödie L’arroseur arrosé (1895) der Gebrüder Lumière, wird ein Gärtner Opfer eines simplen Streichs. Der Filmtheoretiker Béla Balázs weist 1924 darauf hin, dass es im Film keine Natur als neutrale Wirklichkeit gebe: «Sie ist immer Milieu und Hintergrund einer Szene, deren Stimmung sie tragen, unterstreichen und begleiten muss» (in: Der sichtbare Mensch). Fernab seiner Funktion als dekorativer Hintergrund wurde der Garten im Lauf der Filmgeschichte unterschiedlich konnotiert: Es sei an den modernen Steingarten in Jacques Tatis Mon oncle (1958) erinnert, in dem die Natur nur noch als fernes Echo erklingt; an den Beginn von Blue Velvet (1986), wenn die Kamera im Rasen krabbelndes Ungeziefer zeigt, das sinnbildlich für die Verdorbenheit hinter der scheinbar heilen Vorstadtwelt steht, oder an Tom und Gerri in Mike Leighs Another Year (2010), denen ein paar Stunden in ihrem Schrebergarten zum Glück genügen.

Trügerische Idyllen
Als bedeutungstragendes Element wird der Garten mitunter zu einem dominanten Motiv des Films. Wie in einem breiteren kulturellen Kontext seit der Antike hat er sich auch im Film wiederholt als Projektionsfläche für Wünsche und Sehnsüchte, als Refugium und Utopie manifestiert.
Gleich zu Beginn von Douglas Sirks All That Heaven Allows (1955) wird dieses Motiv etabliert, wenn Ron Kirby der Witwe Cary Scott einen Ast vom «Liebesbaum» abschneidet. Der naturverbundene, Thoreau lesende Gärtner verkörpert, wonach sich Cary sehnt: jenes andere Leben in Freiheit, in das sie entfliehen möchte. Mit Verfremdungstechniken im brechtschen Sinne, die in kräftigem Technicolor daherkommen, zeichnet der Film das Happy End jedoch als Utopie. Selbst wenn sich die beiden schliesslich demonstrativ in den Armen liegen, kann dies kein glückliches Ende sein; Cary wird den gesellschaftlichen Konventionen nicht entkommen können. Der Garten als Projektionsfläche der eigenen Wünsche wandelt sich am Schluss von Sirks Film zu einem weiteren Element des Vorstadtkäfigs. Die Natur selbst wird zum unerreichbaren Ideal, wie die letzte Einstellung zeigt, wenn hinter der überdimensionierten Fensterscheibe – die an die Kinoleinwand erinnert – der Rehbock als Zeichen der unschuldigen Natur zum Greifen nah auftaucht und doch nur eine weitere unfassbare Projektion darstellt.
In Frank Perrys The Swimmer (1968) zeigt sich der Garten zu Beginn auch als paradiesischer Ort, wenn der skulpturhafte Körper von Ned (Burt Lancaster) in das kühle Nass des Schwimmbeckens seiner Freunde eintaucht. Beim Blick über das Tal sieht Ned auf jedem Grundstück einen Pool, das Statussymbol der Mittelschicht. Von einem Anwesen zum anderen schwimmt er in der Folge nach Hause, und von Pool zu Pool wandelt sich die Idylle immer deutlicher zum Querschnitt eines bornierten und sinnleeren amerikanischen Bürgertums , dem auch Ned vergeblich zu entkommen versucht.
Die strenge Ordnung des Gartens und der Stolz seiner Besitzer geraten mitunter zur humorvollen Chiffre für kleinbürgerliche Lebensträume, sei es im mit Filmzitaten gespickten Animationsspass The Curse of the Were-Rabbit (2005), in dem ein nachbarschaftlicher Gemüsewettbewerb eskaliert, oder in Mano Khalils feinfühligem Dokumentarfilm Unser Garten Eden (2010), der eine Schrebergartenkolonie mit ihren diversen Nationalitäten als Mikrokosmos der multikulturellen Schweiz zeichnet.
Als Ort der Zuflucht präsentiert sich der verborgene Garten in Shirin Neshats Women Without Men (2009): Gleich zu Beginn gleitet die Kamera einem Bach entlang, um durch ein kleines Felsloch jene Oase zu offenbaren, in der die vier weiblichen Hauptfiguren Schutz vor den politischen Wirren im Iran um 1953 finden. Mit stilisiertem Farb- und Schattenspiel zeigt uns Neshat in strengen Bildkompositionen das räumlich entrückte Refugium, dessen hohe Mauern aber nur vorübergehend Schutz bieten. Auch hier zeigt sich die Idylle als brüchige Fassade, die am Ende nicht aufrechterhalten werden kann.
Die positiven Konnotationen des Gartens in seiner Begrenztheit implizieren gleichzeitig auch deren Unzulänglichkeit: Die Dystopie ist der Utopie inhärent. So auch in Silent Running (1972), Douglas Trumbulls bildgewaltigem Regiedebüt (er war zuvor für die Special Effects in 2001: A Space Odyssey verantwortlich), in dem unter riesigen Glaskuppeln die letzten Pflanzen der Erde zu den Klängen von Joan Baez’ Musik durch den Weltraum gleiten. Mit verzweifelter Hingabe kümmert sich der Astronaut Freeman Lowell um die Biotope, während die Natur auf Erden unwiederbringlich zerstört ist.

Exil auf Zeit
Joe Wrights Pride & Prejudice (2005) schildert die aufkommende Liebe zwischen Elizabeth und Mr. Darcy vor dem opulenten Hintergrund des englischen Landschaftsgartens Stourhead und verdeutlicht, wie sich der Historienfilm mit seiner Darstellung des einengenden gesellschaftlichen Korsetts besonders eignet, um den Garten respektive die Natur als romantisches Exil zu inszenieren.
Während die Jane-Austen-Adaptation bereits den Unterschied zwischen dem herrschaftlichen Anwesen und dem ärmlichen Landhaus der Familie Bennet mit seinem verwilderten Garten etabliert, wird ein solcher Kontrast in Joseph Loseys The Go-Between (1971) noch akzentuiert. Die Tochter aus reichem Hause hat eine Affäre mit dem Pächter des benachbarten Grundstücks. Deutlich zeigt sich der Gegensatz zwischen der strengen Ordnung des herrschaftlichen Landguts der Oberschicht und der freien Natur, wo das illegitime Paar für kurze, flüchtige Momente seine Liebe ausleben kann. In exakt komponierten Bildern der gegensätzlichen Schauplätze reisst der Film symbolisch den Klassengraben auf, an dem die unstandesgemässe Liebe – der Logik des Melodramas folgend – scheitern muss.
In Un dimanche à la campagne (1984) zeichnet Bertrand Tavernier mit dem sonntäglichen Familienbesuch bei einem betagten Kunstmaler ebenfalls ein romantisches, jedoch von Melancholie geprägtes Bild. Der Spätsommertag scheint zuerst der Zeit entrückt, doch immer stärker zeigt sich auch hier, dass der idyllische Schein trügt. Der Film erweist sich als Sittenbild einer Gesellschaft kurz vor dem Ersten Weltkrieg, dessen Schrecken in der Harmonie des Gartens nur vermeintlich in weiter Ferne liegen.
Während der Maler in Taverniers Werk den Garten als Inspirationsquelle nutzt, reflektieren zwei weitere Filme der Reihe andere künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten. Peter Greenaways postmodernes Vexierspiel The Draughtsman’s Contract (1982) hinterfragt den zeichenhaften Charakter der Kunst, und Víctor Erices El sol del membrillo (1992) begleitet akribisch den Maler Antonio López, der an seinem Sujet – einem Quittenbaum im eigenen Garten – verzweifelt.
In seinen vielfältigen filmischen Manifestationen ist der Garten auf kein singuläres Motiv reduzierbar. Doch scheint ihm eigen zu sein, dass er als utopischer Idealort die diversen Sehnsüchte, Ängste und Schwächen der Menschen vor seinem (vermeintlich) unschuldigen Hintergrund umso schärfer hervortreten lässt.
Marius Kuhn