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Premiere: Es ist schwer, ein Gott zu sein

Es ist schwer, ein Gott zu sein

Alexei German hat sich viel Zeit genommen für seine Verfilmung des Romans von Arkadi und Boris Strugatzki, rund 13 Jahre. Entstanden ist ein wahres Kino-Monstrum, ein barockes, dampfendes Alternativ-Mittelalter, das einen unglaublichen Sog entwickelt, wenn man sich darauf einlässt. Das lange Warten hat sich gelohnt, definitiv. «Wissenschaftler sollen einen erdähnlichen Planeten erforschen, dessen Bewohner in einem Pendant zum irdischen 13. Jahrhundert angekommen sind, vor dem möglichen Beginn der Renaissance also, die dann allerdings ausbleibt. Nach dem gleichnamigen Roman von Arkadi und Boris Strugatzki, der 1964 als Parabel auf die Verbrechen der Stalin-Ära erschien, verdichtet sich diese monströse Odyssee zu einem düsteren Sinnbild auf das Ende aller Utopien. Scheinbar ohne durchschaubare Fabel, mit fragmentarischen Dialogen, makabren Bildwelten von Grausamkeit und Gewalt und mit einer erbarmungslosen Geräuschkulisse steht die zerstörte filmische Form für das Fehlen jeglicher humanistischer Impulse.» (Filmdienst)

«Menschen stapfen durch den Dreck einer mittelalterlich anmutenden Stadt, schmieren ihn sich gegenseitig ins Gesicht und rotzen auf den Boden. Überall ist Schlamm, es regnet ununterbrochen, und wenn es nicht regnet, schneit es. Ständig geraten die ungeschlachten Gestalten, die diese sagenhaft unwirtliche Welt bevölkern, aneinander, spucken einander an oder schlagen und demütigen sich. Immer wieder fährt die Kamera ganz nah an den schwitzigen Gesichtern und verfetteten Haaren entlang. Es dampft und suppt aus allen Poren. Man möchte duschen, wenn man aus dem Kino kommt.(…)
So sieht das Leben auf einem Planeten aus, informiert uns die Erzählerstimme zu Beginn der dreistündigen Tour de Force, auf dem die Renaissance verhindert wurde. Die Universität wurde niedergebrannt, die wenigen Gelehrten müssen um ihr Leben fürchten. In dieses phantastische Szenario werden 25 Wissenschaftler von der Erde geschickt, um zu beobachten. Intervenieren dürfen sie nicht. Don Rumata (Leonid Jarmolnik), einer der Wissenschaftler und Hauptfigur des Films, gilt in der Bevölkerung als unverwundbarer Gott.
Es ist schwer, ein Gott zu sein ist der letzte Film des 2013 verstorbenen russischen Regisseurs Aleksei German (Mein Freund Iwan Lapschin). Fertiggestellt wurde er posthum, von seinem Sohn und seiner Witwe. Alles, was ihn noch interessieren würde, hat German in einem seiner letzten Interviews gesagt, sei die Möglichkeit, ‹von Grund auf eine Welt, eine eigene Zivilisation zu erschaffen›. Das ist ihm mit Es ist schwer, ein Gott zu sein ohne Zweifel gelungen. (…)
Germans filmisches Vermächtnis zeugt von einem kompromisslosen und bewundernswerten künstlerischen Eigensinn, der im Kino heute rar geworden ist. Die durchkomponierten Schwarzweiss-Bilder funktionieren nach eigenen Regeln, die mit dem, was wir im Kino gewohnt sind, nur wenig zu tun haben. Man muss sich auf sie einlassen. Dann kann dieser niederschmetternde Wust aus Gewalt, Obszönität und Schmutz eine verstörend hypnotische Wirkung entfalten. Gleich, was man von ihm am Ende halten mag – eines der ungewöhnlichsten, forderndsten und irritierendsten Kinoereignisse seit Andrej Tarkowskijs Stalker ist Es ist schwer, ein Gott zu sein in jedem Fall.» (Benjamin Moldenhauer, Spiegel Online, 3.9.2015)

«Mit einem gigantischen Set, einer ebenso detailgetreuen Ausstattung und einem unbarmherzig schweifenden Kamerablick lässt German eine Vision des Mittelalters aufleben, die den Maler Hieronymus Bosch und Regisseur Terry Gilliam gleichermassen stolz gemacht hätte. Die Kamera taumelt durch eine nicht enden wollende Reihe von Tableaus, auf denen die unwürdige Conditio humana in immer neuen Variationen ausgestellt wird. (…)
Der Stoff der Strugatzkis, die auch die Vorlage für Stalker von Andrej Tarkowski schrieben, wurde bereits einmal verfilmt: Der deutsche Regisseur Peter Fleischmann (Jagdszenen aus Niederbayern, 1968) drehte zu Perestroika-Zeiten auf der Krim den leicht trashigen, aber durchaus unterhaltsamen Science-Fiction-Film Es ist nicht leicht, ein Gott zu sein (1989) mit vielen Komparsen, Spezialeffekten und dröhnender Synthesizer-Musik. Während Fleischmann den Plot in eine generische Fantasy-Welt kleidete und natürlich auch die Beobachter im Raumschiff zeigte, die aus dem Weltall Anton alias Don Rumata beobachten, bleibt diese Ebene bei German ausgespart (…).
Alles dreht sich im Kreis: die Charaktere in ihren Rollen, die Macht in ihrer Willkür, Don Rumata in seiner Ohnmacht, die Kamera bei ihren Fahrten durch die Hölle des Daseins. Dass Regisseur German dem Zuschauer am Ende die Katharsis verweigert, ist dann keine Überraschung mehr. Es ist schwer, ein Gott zu sein zählt zu den Filmen, die man aushalten muss. (…)
Hat der Regisseur wie ein störrischer Greis die grösste Modelleisenbahn der Welt gebaut und menschliche Versuchsobjekte im Kreis fahren lassen, nur aus Weltekel – und weil er es eben konnte? Die Annahme, andere Gesellschaften müssten sich analog zur eigenen entwickeln, wenn auch zeitversetzt, ist einer der grossen historischen Irrtümer des Westens. Er wird bis heute weiter gepflegt (…). Nun könnte man weiterfragen: Wie definiert sich überhaupt Fortschritt? Wie weit ist die Welt eigentlich in den letzten 30 Jahren fortgeschritten? Oder in den letzten 300? Unzeitgemäss ist der Film, bei allem Pessimismus, also keineswegs – ausser auf der handwerklichen Ebene, aber auch das spricht eher für ihn.» (Eric Mandel, kunst + film online, 1.9.2015)